Hörbücher

Ahnenforschung im ewigen Eis

In den Anfängen des Zwanzigsten Jahrhunderts standen Expeditionen zu den unbekannten Flecken der Erde ganz hoch im Kurs. Der Norweger Roald Amundsen erreichte 1911 als erster Mensch den Südpol, nachdem der Amerikaner Robert Perry zwei Jahre zuvor bereits den Nordpol betreten hatte. Im Jahre 1912 gelang es einem Schweizer Expeditionsteam unter der Leitung von Alfred de Quervain erstmals, Grönland in West-Ost-Richtung zu durchqueren. Bestandteil dieser Mannschaft war ein gewisser Roderich Fick, von Haus aus Architekt. Knapp hundert Jahre später entdeckte sein Enkel, der SPIEGEL-Redakteur Stephan Orth, die Aufzeichnungen seines Großvaters auf dem Dachboden und war von da an Feuer und Flamme, sich auf dessen Spuren begeben zu wollen.

Der im Jahre 1979 geborene Stephan Orth ist seit einigen Jahren für den SPIEGEL als Journalist im Reiseressort tätig. Einen großen Erfolg verzeichnete er vor zwei Jahren mit seinem Bestseller "Sorry, wir haben die Landebahn verfehlt", in dem er eine Ansammlung humorvoller Anekdoten und Zitate aus der Welt des Fliegens präsentiert. Für einen Reisejournalisten war es natürlich ein gefundenes Fressen, die Aufzeichnungen des eigenen Großvaters, der bereits 1955 und damit 24 Jahre vor Orths Geburt gestorben war, auf dem Dachboden zu entdecken und daraus ein waghalsiges Projekt zu initiieren, in dem er die einstige Route des Großvaters zu beschreiten plante.

Als Warm-up bereist Stephan Orth zunächst einmal mit einem großen Tross an Verwandten im Jahre 2011 die grönländische Küstenregion, bevor er anschließend Kontakte zu professionellen Expeditionsleitern und -teilnehmern knüpft. Im Sommer 2012 ist es dann soweit: Stephan Orth ist Teil einer Expedition, die exakt 100 Jahre nach Opa Roderich und seinen Mitstreitern eine Ost-West-Querung Grönlands vornimmt. Um präzise zu sein, muss man festhalten, dass Orth und seine Mannschaft damit in der entgegengesetzten Richtung zur ursprünglichen Referenzexpedition unterwegs sind.

Stephan Orth hat seine Erlebnisse auf dieser Expedition sowie seine Gedankenwelt rund um den Fund der Aufzeichnungen seines Opas in einem Buch zusammengefasst: "Opas Eisberg" schildert auf knapp 300 Seiten in einer parallelen Berichterstattung die Fortschritte und Hindernisse beider Expeditionen. In der vorliegenden Hörbuchfassung wird diese Art der beständig wechselnden Schilderung quasi zu einer Konferenzschaltung zwischen den Jahrhunderten. Torben Kessler sorgt dabei als Sprecher mit seinem engagierten Vortrag dafür, dass der Hörer trotz der vielen zeitlichen Sprünge stets darüber im Bilde ist, in welchem Jahrhundert und in welchem Expeditionsteam er sich gerade befindet.

Es mutet beinahe ein wenig inszeniert an, dass die Expedition aus dem Jahre 2012 schlussendlich daran scheitert, dass ihr hochtechnologisches Material versagt und ihnen bei ihrem Vorhaben einen gewaltigen Strich durch die Rechnung macht, während die Männer um Roderich Fick hundert Jahre zuvor mit deutlich bescheideneren Mitteln ihren Plan in die Tat umsetzen konnten. Es ist somit kein Wunder, dass man einen nach Roderich Fick benannten Berg, den sogenannten Fick Bjerg, im Osten Grönlands vorfindet, während die Welt weiterhin auf Orths Berg verzichten muss. Dafür hat letzterer jedoch Details über eine Expedition zu Tage gefördert, die nur jemand berichten kann, der über einen direkten Draht und Aufzeichnungen aus dem persönlichen Umfeld der einstigen Pioniere verfügt.

Das vorliegende Hörbuch liefert dem Hörer im Innenteil zwei Karten, auf denen neben der Schweizerischen Grönlandexpedition von 1912 auch die Route der Jubiläums-Expedition von 2012 eingezeichnet ist. Selbstverständlich kommt letztere weniger beeindruckend rüber als die der Eidgenossen. Zusätzlich wird das Hörbuch noch mit einem informativen Booklet ausgeliefert, in dem neben zwei Bildern der beiden Expeditionen noch ein kurzer Text über die Expeditionsgeschichte der größten Insel der Welt enthalten ist.

Trotz des Misserfolgs seiner eigenen Expedition ist es Orth zweifellos gelungen, eine frühe Meisterleistung der Polarforschung gepaart mit intimen Innenansichten zu dokumentieren. Gerade wegen des Scheiterns seines eigenen Vorhabens wird deutlich, welche Meisterleistung die Schweizer mit ihren bescheidenen Mitteln vor mittlerweile über einhundert Jahren erringen konnten. "Opas Eisberg" war darüber hinaus für Stephan Orth ein Weg, seinen Großvater, den er nie persönlich treffen konnte, besser kennenzulernen. Leser und Hörer werden ihre Freude daran haben, die Wege der beiden Expeditionen mit dem Finger auf der Landkarte zu verfolgen und als Beobachter an Orths persönlicher Familiengeschichte teilzunehmen.

Christoph Mahnel 
21.05.2013

 
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Das Buch:

Stephan Orth: Opas Eisberg. Auf Spurensuche durch Grönland

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Sprecher: Torben Kessler
Berlin: DAV 2013
Spielzeit: 240 Min., € 19,99
ISBN: 978-3-86231-272-6

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