Hörbücher
Ich , Schmidt!
Im vergangenen Jahr feierte er seinen 90. Geburtstag, nachdem in den letzten Jahren die Medien einen wahren Mythos um seine Person entfacht haben, der ihn als deutsche Lichtgestalt und den "elder statesman" schlechthin erscheinen lässt: Helmut Schmidt, der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Sturz Willy Brandts über die Guillaume-Affäre regierte er von 1974 bis 1982, bis er seinerseits nach der politischen Neuausrichtung der FDP abdanken musste und den Weg freimachte für seinen Amtsnachfolger Helmut Kohl. Schmidt hat sich anschließend immer mehr freigemacht von parteipolitischen Zwängen und eine gewisse "Altersweisheit" erlangt, die ein gesundes politisches Verständnis in sich birgt, das eigentlich jedem aktiven Politiker und Staatsmann bereits zu Amtszeiten gut zu Gesicht stehen würde. Unter anderem bedingt durch seine Tätigkeit bei der Wochenzeitung "Die Zeit", für die er seit 1983 als Mitherausgeber fungiert, hat sich Schmidt in den vergangenen Jahren von der Erörterung taktischer und kurzfristiger, sprich parteipolitischer Fragen entfernt, und sich eher zu visionären, strategischen und allgemeinpolitischen Themen geäußert.
Im vorliegenden Hörbuch zu seinem im vergangenen Jahr erschienen Werk "Außer Dienst" zieht Schmidt Bilanz: Er resümiert seine persönlichen Erfahrungen mit Menschen, zieht Lehren aus der Geschichte und bekennt eigene Fehler. Schmidt schaut hinaus in die Zukunft und lässt den Hörer teilhaben an seinen Anliegen an Deutschland und die großen Weltmächte, damit auch zukünftig ein Miteinander anstatt eines Gegeneinanders gewährleistet werden kann. Das Hörbuch wird von Hanns Zischler als gekürzte Fassung des Buches vorgetragen, leider sieben Stunden lang in einer äußerst monotonen Stimmlage. Sehr schade ist es, dass Schmidt nicht selbst dieses Hörbuch spricht, denn seine Stimme hätte dem Ganzen Authentizität verliehen, auch wenn er - wie er selbst zugibt - als Redner und Sprecher nie Massen begeistern konnte.
Wie zu Beginn des Hörbuches explizit erwähnt, ist "Außer Dienst" nicht als Biografie gedacht, unter anderem wurde auch keine chronologische Vorgehensweise gewählt. Das unterscheidet das vorliegende Werk von Helmut Kohls "Erinnerungen", die bis dato in drei Bänden (1930-1982, 1982-1990 und 1990-1994) erschienen sind. Die Sprache ist jedoch eine ähnliche: Schnörkellose, kurze und für jedermann gut verständliche Sätze, die die Verdienste eines Staatsmannes herausstreichen. Letzteres muss man aber Männern wie Schmidt und auch Kohl schon zugestehen, denn wer einen Großteil seines Lebens an den Schalthebeln der Macht saß, der wird für den Rest seines Lebens sicherlich nicht von Anflügen von Profilneurosen verschont bleiben. Als Oberlehrer daherkommend ist Schmidt unumstößlich final in seinen Aussagen, die keine weitere Diskussion zulassen.
Dagegen sollten Schmidts Erörterungen über die Lehren der Deutschen aus der Geschichte zur Pflichtlektüre für alle Lehrer und Schüler werden, um nachfolgenden Generationen die Gedanken eines Mannes zu offenbaren, der entscheidende Abschnitte dieser Geschichte hautnah miterlebt und ein sehr gutes Gespür für die Stellung Deutschlands im internationalen Beziehungsgeflecht entwickelt hat. Höchst interessant sind die impliziten Zwischentöne Schmidts über sein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vorgänger Willy Brandt, der während seiner Amtszeit den Posten des Parteivorsitzenden begleitete. Dagegen äußert Schmidt überraschenderweise in vielen politischen Fragen Übereinstimmung mit seinem Nachfolger Helmut Kohl.
Das vorliegende Hörbuch zielt auf diejenigen an Geschichte und Politik interessierten Bundesbürger, die ein Verständnis für Zusammenhänge entwickeln möchten, das oberhalb von tagesaktuellen Themen und Streitfragen angesiedelt ist. Ob die Gedanken Schmidts in "Außer Dienst" - wie auch die seines Nachfolgers in "Erinnerungen" - jemals auf einer Stufe mit den philosophischen Reflexionen eines Marc Aurel anzusiedeln sein werden und die Jahrhunderte überdauern, bleibt allerdings zu bezweifeln. Abschließend lässt sich dennoch festhalten, dass es die Gedanken eines ehemaligen Bundeskanzlers an dessen Lebensabend definitiv wert sind, gehört zu werden, auch wenn für Schmidt selbst im hohen Alter Bescheidenheit noch immer keine Zier ist.
Christoph Mahnel
18.05.2009