Romane
Ein bisschen wie "Shades of Grey" - nur (etwas) braver und eindeutig literarisch wertvoller
Die 19-jährige Anna ist jung und planlos. Sie lebt in den Tag hinein, hüpft freudlos von einem Job zum anderen, ohne je bei sich selbst anzukommen. Bis sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter vor einem Haufen von Problemen steht. Anna muss endlich das Projekt Erwachsenwerden in Angriff nehmen. Fortan muss sie alleine die Miete bezahlen. Aber Anna sucht nicht nur Arbeit, um auch morgen noch ein Dach über den Kopf zu haben. Sie sucht einen Platz in der Welt. Anna ist zerbrechlich und mutig zugleich. Sie ist desillusioniert und bereit, bis an ihre Grenzen zu gehen - und darüber hinaus. Sie wird Escortgirl, ein mehr oder weniger nette Umschreibung für eine Prostituierte der gehobenen Klasse. Oder wie nennt man es sonst, wenn man fürs Geld mit einem wildfremden Typen ins Bett steigt?
In Annas neuem Leben spielen biedere Zahnärzte Nebenrollen und ein durchgedrehter Künstler die Hauptrolle. Bis Nelson auf den Plan tritt. Seine Augen haben die Farbe von Waldpfützen; sie sind undefinierbar und schön. Ja, Anna hat sich verliebt. Ausgerechnet in einen Freier. Doch ist das die Lösung für ihre Probleme? Ob es der exzentrische Enrique, sein alter Freund Anagramm-Calvin, die frankophile, wohlhabende Geneviève oder der verschrobene Kevin ist, Annas Kunden spielen eine wichtige Rolle in ihrem Selbstfindungsprozess. Denn während sie sich immer weiter zwischen Blubberwasser und ihren Gefühlen für Nelson verliert, brechen die geradezu schablonenhaft erscheinenden Kunden wie eine Art seltsame, fast schon surreale Konstante wieder und wieder in ihr Leben ein.
Ein Lesevergnügen voller Überraschungen - "Sweet Rotation" ist die reinste Wundertüte, randgefüllt mit Humor, Esprit und Emotionen. Laura Wohnlich sorgt für unbändige Lesebegeisterung über viele, viele Stunden. Die Geschichten aus ihrer Feder machen Schluss mit langweiligen Nachmittagen oder Abenden. Dank diesen kommt nämlich jede Menge Schwung in unser aller Leben. Es dauert nur wenige Seiten und man hat Muskelkater vom Dauergrinsen und zugleich droht einem das Herz zu brechen. Kein Wunder, bei so viel (Wort-)Witz und noch mehr Emotionen. Man muss glatt aufpassen, nicht von der Couch zu plumpsen. Wohnlich rockt die deutschsprachige Literatur. Sie ist der Popstar unter unseren Schriftstellerinnen. Die Schweizerin schreibt viele ihrer Autorenkollegen glatt an die Wand.
In ihren Romanen nimmt Laura Wohnlich kein Blatt vor dem Mund. Sie spricht aus, was viele denken - und überschreitet dabei (literarische) Grenzen, bricht Tabus. "Sweet Rotation" macht unglaublich amüsanten Lesespaß. Dieses Debüt gehört zu den Highlights des Bücherfrühlings 2017. Ab der ersten Seite erfährt man hier Unterhaltung, die schräger, launiger und spritziger definitiv nicht sein kann, und ebenso nicht frecher und peppiger.
Susann Fleischer
10.04.2017