Romane
Über die Macht der Liebe , die Angst des Verlustes und die Kraft der Menschlichkeit
Paul Leipovitz lebt mit Christine und Sohn in Hongkong. Doch sie haben ihr behütetes Zuhause für eine mehrtägige Chinareise verlassen. Sie möchten Land und Leute von einer anderen Seite kennenlernen. Und das tun sie auch auf brutalste Weise, als Daniel nach einem Zoobesuch spurlos verschwindet. Offenbar hat ein hochrangiger Parteifunktionier den Vierjährigen entführt. Zwar können Paul und Christine ihren kleinen Schatz schon bald wieder in ihre Arme schließen. Aber fortan sind sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher. Denn die Kidnapper denken nicht daran aufzugeben. Sie wollen Daniel zurück, und zwar um jeden Preis. Der Familie bleibt keine andere Wahl als Flucht. In Peking hoffen sie auf Schutz durch den amerikanischen Botschafter.
Bahnhöfe, Straßen und Flughäfen werden überwacht. Ohne Hilfe haben Paul, Christine und Daniel keine Chance, in die Millionenmetropole zu gelangen. Wer ist bereit, ihnen Unterschlupf zu gewähren und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen? Wem können sie trauen? Ihr Freund Zhang (einst Polizist, inzwischen Mönch) riskiert alles, um sie in Sicherheit zu bringen. Und er findet tatsächlich welche, die vor nichts Angst zu haben scheinen. Da sind u.a. Bauer Luo und dessen Enkel Da Lin. Ihre Zukunft gerät in Gefahr, als eines Nachmittags die Polizei bei ihnen auf den Hof steht. Paul, Christine und Daniel können fliehen. Allerdings liegen vor ihnen noch 1000 Kilometer. Und selbst wenn sie Peking erreichen sollten, sind sie längst nicht in der Botschaft ...
In Jan-Philipp Sendkers Büchern wirft man einen Blick in die wahre Seele Chinas. Seit über 20 Jahren beschäftigt sich der Hamburger mit dem Reich der Mitte; erst als Asien-Korrespondent des Stern, später als zeitgenössischer Romanautor. Die tiefgreifenden Innenansichten in seinen Werken zeigen eine Gesellschaft in Aufruhr. Eine, die ihren moralischen Kompass verloren hat. Eine, in der die Schere zwischen Arm und Reich so groß ist, wie in kaum einen anderen Land auf der Welt. Auch mit "Am anderen Ende der Nacht" bekommt man ganz große Literatur in die Hand. Die Geschichte ist eine von Menschen, die nicht mehr viel zu verlieren haben und sich gerade deshalb ihre Menschlichkeit bewahren. Ab der ersten Seite fließen beim Leser die Tränen.
Berührendes Lesekino wie aus der Feder einer Amy Tan oder eines Amitav Ghosh - nach dem letzten Satz von "Am anderen Ende der Nacht" droht einem das Herz zu brechen. Jan-Philipp Sendker versetzt den Leser in einen Rauschzustand. Es wird einem ganz schwindelig, weil der deutsche Schriftsteller so unglaublich gut schreibt. Seine Geschichten zeugen von Emotionen pur und von hoher Erzählkunst. Nach nur wenigen Sätzen erliegt man dieser vollkommen. Solch ein Leservergnügen lässt einen partout nicht mehr los und wird man garantiert sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Susann Fleischer
22.08.2016