Romane

Flanieren auf Ungarisch

"Ein ideales Leben hätte ich vielleicht nur dann auf die Reihe gebracht, wenn auch ich im angemessenen Alter geheiratet hätte" - so sieht die Lebensbilanz des 46-jährigen Mihály aus. Der Feuilletonist, Theaterkritiker und Dichter ist ein Flaneur und Lebenskünstler, der bisweilen Angst vor dem Tod hat, sich mit allerlei Krediten durchschlägt, leicht reizbare Nerven hat und sich mit der ein oder anderen Geliebten die Zeit vertreibt. Der 1935 erstmals auf Ungarisch erschienene Roman des jüdisch-ungarischen Schriftstellers, Dichters und Dramatikers Ernö Szép liegt nun zum ersten Mal auch in deutscher Übersetzung vor.

Die Vormittage des 46-Jährigen gehören ganz der Arbeit: Er schreibt, um sich sein täglich Brot zu verdienen - Feuilletons, Glossen, Dramen, Kritiken und einen Roman über sich selbst. Die Nachmittage gehören der Liebe, dem Flanieren, Sinnieren, Nachdenken, schlichtweg dem schönen Leben. "Die Nachmittage waren stets der Liebe vorbehalten, dem Müßiggang, auch der Lektüre und dem Kartenspiel." Zum nachmittäglichen Zeitvertreib verabredet Mihály sich regelmäßig mit einer wohlhabenden, verheirateten Dame seines Alters, die er einfach "5Fleurs" nennt - nach dem Parfüm, das sie trägt. "Beim Handkuss habe ich ein wenig von ihrem Parfum inhaliert. Es sind nur Bruchteile einer Sekunde, in denen der Mann die Hand einer Frau kennenlernt, ihre Textur, ihre Wärme, den Duft, ihr Benehmen, ihre Willfährigkeit, den Instinkt, die ganze Botschaft."

Die Affäre mit der verheirateten 5Fleurs beginnt ihn aber schon bald zu langweilen, zwei Jahre seien schließlich ungewöhnlich für eine Affäre, die für das Verbotene, Neue und Aufregende steht. Da begegnet ihm im Theater die junge Schauspielschülerin Iboly, die er fortan öfters zum Abendessen, zu Kinobesuchen und zu Textproben trifft. Das unerfahrene, lebensfrohe Mädchen empfindet für den alternden Schöngeist schon bald tiefere Gefühle, die er jedoch nicht von Herzen erwidern kann. "Irgendetwas fehlt. Irgendetwas kriege ich von ihr nicht. So als hielte ich eine Muschel ans Ohr und sie wollte nicht rauschen."

Ernö Szép lässt seinen Protagonisten in melancholisch-verträumter Sprache über Liebe, Frauen und das Leben sinnieren und dabei durch die Straßen Budapests spazieren, wie es Proust auch nicht besser gekonnt hätte. Der Lebenswandel des Ich-Erzählers hingegen, seine permanente Geldnot, das ständige Leben am Abgrund, sich mit der Schreiberei nur bedingt über Wasser zu halten zu können, erinnert stark an die Nöte des Protagonisten aus Knut Hamsuns "Hunger". Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft noch mehr Werke des 1953 in Schweden verstorbenen und in Ungarn zu den "Großen Eleganten" zählenden Schriftstellers auch auf Deutsch erscheinen werden.

Sabine Mahnel
01.12.2008

 
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Das Buch:

Ernö Szép: Die Liebe am Nachmittag. Aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner

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München: dtv 2008
299 S., € 14,90
ISBN: 978-3-423-24688-0

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