Romane
Ein alles überstrahlendes Juwel im Bücheregal, darüber hinaus der Beweis: Uwe Tellkamps Worte leuchtet so betörend-schön wie Poesie - Chapeau vor dieser Meisterleistung!
Im Gegensatz zu "Der Turm" geht es nicht um die DDR oder die Bundesrepublik Deutschland, sondern um ein chimärisches Spiegelbild namens Treva, Argo und Brenta, in welchem "das Mammut", "General", "das Fossil", "Außen Eins" und "Außen Zwei" der trevischen Nachrichtenagentur und die Tausendundeinenacht-Abteilung auf der "Kohleninsel" samt der "Dunkelgrauen" und "Hellgrauen Eminenz" ihr Unwesen treiben. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Fabian Hoffmann, der gut 25 Jahre nach dem Mauerfall schwer zu kämpfen hat; unter anderem mit seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, andererseits mit seinen Hoffnungen sowie seinem Gewissen. Das nagt an ihm.
Wir schreiben den August 2015: Mammut ist Kohl, Mutti löste ihn ab und die Stasi wird heute durch die 3M gekennzeichnet: Medien, Macht, Mitläufer. Sie alle arbeiten in der "Tausendundeinenachtabteilung" von Treva. So auch Fabian Hoffmann, der einstige Dissident. Er steht als Chronist in den Diensten dieses Systems. In den Labyrinthen eines unterirdischen Reichs arbeitet die "Sicherheit" an Aktivitäten, zu denen einst auch die Wiedervereinigung zweier geteilter Staaten gehörte. In diese Welt ist Fabian einem ihrer Kapitäne, Deckname "Nemo", gefolgt, um herauszufinden, wer seine Schwester und seine Eltern verraten hat. Zugleich ist Fabian mit einer Chronik befasst, die zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung erscheinen soll. Doch es kommt anders.
Fabian gerät auf eine Reise, die ihn tief in die trevische Gesellschaft und ihre Utopien hineinführt. Er analysiert Ordnungsvorstellungen und Prinzipien der Machtausübung, die Verflechtungen von Politik, Staatsapparat und Medien, beobachtet die Veränderungen im alltäglichen Leben. Immer mehr löst sich dabei seine Chronik von ihrem ursprünglich amtlichen Auftrag, streift zurück bis in das Dresden seiner Kindheit, in die stillstehende Zeit vor zwei Epochenjahren. Auf seiner Suche nach Ordnung und Sinn kämpft Fabian gegen die Windmühlen der Macht, die Fälschungen der Wirklichkeit, den Verlust aller Sicherheiten - und gibt doch den Traum von einer befreiten Zukunft nicht verloren ...
Unterhaltung, die so high macht wie sonst nur noch Drogen - ein Buch von Uwe Tellkamp gelesen, und man ist hochgradig süchtig nach mehr, viel mehr. Das Können des deutschen Autors entlockt einem ein lautes "Wow, wow, wow!" nach dem anderen, haut einen sogar glatt vom Hocker. Sollte Thomas Mann noch leben und einen Nachfolger seiner "Buddenbrooks" schreiben, das Ergebnis wäre mit "Der Schlaf in den Uhren" definitiv vergleichbar. Tellkamp steht mit diesem Werk ganz in der Tradition des bekannten Schriftsteller und weniger anderer (z.B. Heinrich Böll oder Günter Grass). Diese Lektüre sorgt für Furore über viele, viele Stunden lang. Über solch einen Genuss bekommt man es nicht einmal mit, wenn eine Bombe neben einem explodiert. Was für Wahnsinn, eigentlich sogar ein Geniestreich ohnegleichen!
Was Uwe Tellkamp mit "Der Schlaf in den Uhren" gelungen ist, ist absolut beeindruckend. Dieser Roman sollte unbedingt in die Annalen der Literaturgeschichte eingehen, um noch in mindestens 100 Jahren als Lektüreklassiker der Extraklasse gelesen zu werden. Die Fortsetzung des Bestsellers "Der Turm" zeugt von ganz großer, geradezu berauschender Erzählkunst, außerdem von unschlagbarer Genialität vom ersten bis zum letzten Satz. Das muss man lesen. Unbedingt! Auch weil Tellkamp mit "Der Schlaf in den Uhren" den großen deutschen Roman verfasst hat, so wie einst John Steinbeck mit "Früchte des Zorns". Einfach nur grandios!
Susann Fleischer
22.08.2022