Krimis & Thriller

Am Rande des Wahnsinns

Daniel baut in London als freischaffender Designer mehr schlecht als recht Dachterrassen zu Gärten um, ist jedoch ob seines mangelnden Geschäftserfolgs finanziell von seinem Lebensgefährten Mark abhängig, der ihm seinen Lebensunterhalt ermöglicht. Daniel ringt seit längerem mit sich, wie er seinen Eltern erklären kann, dass er schwul ist. Da sich Tilde und Chris jedoch vor geraumer Zeit auf eine Farm in Tildes schwedischer Heimat zurückgezogen haben, scheint die Zeit nicht zu drängen. Doch da lässt ein unerwarteter Anruf seines Vaters Daniels komplettes Familienbild zusammenstürzen. Angeblich sei Daniels Mutter geistig verwirrt und auf direktem Wege aus der Psychiatrie zu ihm nach London.

Tilde lotst Daniel an den Flughafen Heathrow und von nun an geht alles blitzschnell, da die Zeit drängt. Tilde führt nichts außer einer Tasche voller Beweise mit sich. Keiner glaubt ihr, obwohl sie dabei ist, eine ganz große Verschwörung aufzudecken. Nach dem Umzug nach Schweden habe sich Daniels Vater allmählich von seiner Frau distanziert und mit den anderen Männern im Ort zusammengetan. Tilde sieht ihre Verdachtsmomente bestätigt, dass sich der halbe Ort an Mia, der Adoptivtochter ihres Nachbars Håkan, sexuell vergangen hat. Daher dürfe Daniel seinem Vater nicht glauben, der sich laut Tilde auch umgehend auf den Weg nach London machen werde, um Tilde wieder zurück in die Psychiatrie zu bringen. Für Daniel beginnt eine turbulente Jagd durch London sowie die Suche nach der Wahrheit, bei der er sich zwischen seiner Mutter und seinem Vater entscheiden muss.

Tom Rob Smith hatte mit seinem Debüt "Kind 44" einen fulminanten Thriller hingelegt, den er mit den beiden Folgewerken "Kolyma" und "Agent 6" zu einer Trilogie rund um den KGB-Agenten Leo Demidow vervollständigte. Nach dieser Thrillerserie aus der (post-)stalinistischen Sowjetunion legt er nun mit "Ohne jeden Zweifel" einen Psychothriller ganz anderer Couleur vor. Sein neuestes Werk trägt zweifellos auch autobiographische Grundzüge, da Smith selbst mit seinem Lebensgefährten in London zusammenlebt und der Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters ist. Doch damit, so versichert Smith ausdrücklich, seien die Gemeinsamkeiten zwischen seiner eigenen Familie und den Protagonisten in seinem Buch erschöpft.

"Ohne jeden Zweifel" besteht schwerpunktmäßig aus den Erzählungen Tildes, wie sie ihren Sohn in einem streng chronologischen Vortrag die schwerwiegenden Vorwürfe an Chris sowie den anderen Männer des Dorfes näherbringt und ihn davon zu überzeugen versucht, dass sie in allerhöchster Gefahr schwebt. Daniel ist Tildes allerletzte Hoffnung. Sollte es Daniels Vater gelingen, nach London zu kommen und sie dort aufzuspüren, wird sie wohl oder übel für den Rest ihres Lebens zurück in die Psychiatrie müssen. Im Laufe ihrer Erzählungen kommt die Sprache auch auf Tildes eigene Jugend, die mit 16 Jahren ihr Elternhaus verließ, nachdem einige Sommer zuvor ihre beste Freundin Freja auf tragische Weise ums Leben gekommen sein soll. Daniel kann die beiden Geschichten nicht sofort in Einklang bringen, doch vermutet er rasch einen Zusammenhang, der des Rätsels Lösung in sich tragen könnte.

Diejenigen Leser, die sich in "Ohne jeden Zweifel" einen Thriller der Machart von "Kind 44" oder den beiden anderen Bücher von Smith erwartet haben, werden gegebenenfalls ein wenig enttäuscht sein, da der vorliegende Roman in eine völlig andere Richtung des Thriller-Genres zielt als die bisherigen Bücher von Tom Rob Smith. "Ohne jeden Zweifel" spielt in den Köpfen der drei Hauptdarsteller, die die Vorgänge rund um "The Farm", wie der englische Originaltitel lautet, auf ihre eigene Weise interpretieren. Daniel gerät dabei in einen persönlichen Konflikt, indem er sich letztlich vor die Wahl zwischen Mutter und Vater gestellt sieht. Ein Kompromiss scheint unmöglich. Diesen Konflikt im Kopf des Protagonisten hat der Autor neben dem eigentlichen Fall um die verschwundene Mia zum zentralen Element seines neuesten Psychothrillers gemacht.

Auch wenn man sich als Leser im ersten Drittel des Buches ein wenig durchringen muss, die kruden Beweisansätze Tildes zu akzeptieren, nimmt einen Smith spätestens nach der Ankunft des Vaters gefangen. Von da an beschäftigt einen vor allem die Frage, wohin dieser ganze Scherbenhaufen an Beweisen und ungeklärten Fragen letztlich führen soll. Doch hier hat Tom Rob Smith - ohne etwas vorwegzunehmen - ein gelungenes Ende gefunden, das eine Auflösung präsentiert, die es wirklich in sich hat und den Leser den Roman zufrieden ins Regal zurückstellen sowie Smith als wandlungsfähigen Autor würdigen lässt, der sich erfolgreich durch völlig unterschiedliche Plots hindurchbewegen kann.

Christoph Mahnel
04.11.2013

 
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Das Buch:

Tom Rob Smith: Ohne jeden Zweifel. Thriller. Aus dem Englischen von Eva Kemper

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München: Manhattan Verlag 2013
384 S., € 19,99
ISBN: 978-3-442-54678-7

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