Briefliteratur & Tagebuch
Briefe, die die Welt bewegen
Hermann Hesse ("Der Steppenwolf", "Siddhartha") ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands des letzten Jahrhunderts. Er schreibt Literatur von solcher Grandiosität, dass es einem den Atem verschlägt. Aber nicht nur seine Prosawerke gehören in jedes Bücherregal, sondern darüber hinaus auch der Briefband "»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«". Mit allen Sinnen verliert man sich in den Nachrichten zwischen Hesse und seinen Söhnen Bruno und Heiner. Dieser Schriftwechsel hat echt Stil, zeugt außerdem von einem erzählerischen Niveau sondergleichen. Ein ungewöhnlich intensives Lektüreerlebnis, zudem von außerordentlich sprachlicher Kunstfertigkeit sowie von größter Seltenheit. Chapeau. für solch eine schriftstellerische Meisterleistung!
Es ist nicht leicht, Sohn eines berühmten Vaters zu sein. Zumal wenn der Vater häufig abwesend ist und dann auch noch die Familie zerbricht. Wie es Hermann Hesse und seinen Söhnen Bruno und Heiner "trotz allem Schwierigen" gelungen ist, eine liebevolle, lebenslange Beziehung aufzubauen - davon erzählt "»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«", der fast 300, bislang unveröffentlichte Briefe enthält.
Die hier wiedergegebene Korrespondenz setzt Anfang 1920 ein. Zwei Jahre zuvor hatte Hesses erste Frau und die Mutter seiner Kinder, Mia Hesse-Bernoulli, einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine Klinik eingewiesen. In der Folge sah er sich gezwungen, seine Söhne in Obhut zu geben: Der 14-jährige Bruno kam als Pflegesohn zu einem befreundeten Ehepaar, der vier Jahre jüngere Heiner erlebte eine Odyssee durch Kinderheime und Schulinternate. Hesse ist bemüht, trotz der räumlichen Trennung die Entwicklung seiner Söhne mit Rat und Tat zu begleiten. Er geht voller Verständnis auf die Probleme und Lebensentwürfe der beiden Heranwachsenden ein, immer individuell und auf Brunos und Heiners Temperament und Charakter zugeschnitten. In seinen Briefen bestärkt er seine Söhne, ihren eigenen Weg zu gehen, und ermuntert sie, die eigenen Anlagen, die sie in sich tragen, weiterzuentwickeln.
Dass nicht nur er ihnen hilft, ihren Platz im Leben zu finden, sondern auch sie ihm über die Jahre helfen, sich in seiner Rolle als Vater zurechtzufinden, dokumentiert der Briefwechsel auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise. "»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«" ist das Zeugnis einer großen Vater-Söhne-Liebe. Die Briefe rühren immer wieder zu Tränen, stimmen aber auch nachdenklich. Sie bringen uns dazu, über unser eigenes Dasein nachzudenken und noch mehr über die Bedeutung von Familie. Insbesondere letzteres ist das Wertvollste im Leben.
Sachliteratur, die so poetisch und hochwertig ist wie Hermann Hesses Romane - "Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«" beweist, dass an das Schreibkönnen Hesses nur die wenigsten seiner Zunft heranreichen. Selbst seine Briefe begeistern bis zum letzten Satz. Kaum etwas berauscht einen mehr! Diese Lektüre wird man sein Leben lang nicht vergessen. Hesses liebevolle Worte, die er für seine Söhne Bruno und Heiner findet, klingen noch Stunden nach dem Weglegen nach. Wer von diesen nicht gerührt ist, hat kein Herz im Leib. Hermann Hesse ist ein Meister, der keine Scheu hat vor Gefühlen, vor allem nicht vor seinen eigenen. Und genau das macht das vorliegende Buch so einzigartig, so besonders und kostbar! Er bringt dem Leser einen Mann im emotionalen Zwiespalt näher, ohne dabei ins Triviale abzugleiten. Definitiv ein Geschenk! Und ein Highlight, das seinesgleichen sucht!
Susann Fleischer
25.01.2021