Autobiographie

Togolesische Anleitung zum Glücklichsein

Ob der Tristesse des eigenen Lebens schauen Menschen oft auf solche, deren Vita gefüllt ist von Erlebnissen, Wendungen und Schicksalen, die gut und gerne für zehn oder mehr Lebensläufe ausreichen würden. Assimou Touré ist ein solcher Mensch, der mit gerade einmal 33 Lenzen viele Höhen und Tiefen des maximal Erträglichen erlebt hat. Im Jahre 1988 wurde er im togolesischen Sokodé geboren und im Alter von fünf Jahren in ein Flugzeug nach Deutschland gesetzt, um dort mit seiner Mutter und weiteren Verwandten ein neues Leben beginnen zu können. Die Zeit im Heim, während er auf positive Bescheide und einen deutschen Pass wartete, zog sich derart in die Länge, so dass er mit 17 Jahren auf ein Leben zurückblicken durfte, in dem er mehr als zwei Drittel davon in einem Heim verbracht hatte. Doch war da stets der Fußball, der ihn begeisterte und antrieb und ihm letztlich auch Türen in ein neues Leben öffnete.

Die Jugendabteilung von Bayer Leverkusen durchlief der Abwehrspieler so erfolgreich, dass er mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft debütieren durfte. Gerade erst war Assimou Touré stolzer Inhaber eines deutschen Passes geworden, da rief ihn die alte Heimat. In ihrer bisherigen Geschichte war es der togolesischen Fußball-Nationalmannschaft ein einziges Mal gelungen, sich für eine Fußball-Weltmeisterschaft zu qualifizieren, und zwar für das anno 2006 in Deutschland ausgetragene Turnier, das später als Sommermärchen verklärt werden sollte. Togo wollte Assimou nominieren, obgleich dieser angesichts seiner neuen Identität Zweifel hegte. Doch gesagt, getan: Touré absolvierte zwei der drei Vorrundenspiele Togos und war WM-Teilnehmer. Seine weitere Karriere stagnierte allerdings, auch wegen einer kurze Zeit später erlittenen, schweren Verletzung. Seinen größten Erfolg trug er allerdings im Jahre 2010 abseits des Platzes davon, als er bei einem Anschlag auf den Bus der togolesischen Nationalmannschaft während des Afrika-Cups in Angola anders als einige seiner Mitstreiter diesen Tag überlebte.

"Erst Heim, dann Heimat" erzählt die Lebensgeschichte des Assimou Touré. Es ist beileibe nicht übertrieben zu sagen, dass dieser junge Mann in kürzester Zeit Dinge erlebte, die für gewöhnlich das Limit eines einzigen Menschenlebens überschreiten. Seit nunmehr 28 Jahren lebt Touré in Deutschland und ist laut eigener Aussage in dieser Zeit auch zum Vorzeige-Deutschen geworden. Unter anderem führt er dafür seine togolesischen Wurzeln an, die sich ob der einstigen Kolonialzeit der Deutschen in Togo vom restlichen Afrika unterscheiden. Dieser Tage ist das vorliegende Buch beim Verlag Nagel & Kimche erschienen. Trotz der Fülle an Ereignissen ist es recht überschaubar gehalten und lässt sich zügig konsumieren. Einziger Kritikpunkt mag ein lasches Lektorat sein, das seiner Aufgabe etwas gewissenhafter hätte nachgehen dürfen.

Man merkt, dass Assimou Touré viel Zeit in seinem Leben dafür erübrigt hat, Geschehnisse zu reflektieren. Obgleich noch jung an Jahren wirken seine Lebensweisheiten sehr überlegt und ausgereift. Insbesondere sein Umgang mit Tiefschlägen ist hochgradig bemerkenswert. Überhaupt nicht schwermütig oder gar zweifelnd noch hadernd hat Touré seine Niederlagen stets als Ausgangspunkt dafür genutzt, neue Türen zu öffnen und neue Höhen zu erreichen. Seine Erklärungen mit Blick auf afrikanische Improvisationskunst, die hierzulande deutlich geringer ausgeprägt ist, leuchtet ein. Nur so lässt sich verstehen, dass er einen komplizierten Schien- und Wadenbeinbruch mit über einem Jahr Ausfall ohne Selbstzweifel hinter sich brachte, dass er nach dem Anschlag beim Afrika-Cup nicht unter einem Langzeittrauma zugrunde ging und dass er sich nach seiner aktiven Karriere den Lebensmut trotz vieler Nachtschichten am Flughafen beibehielt.

"Erst Heim, dann Heimat" konzentriert sich weniger auf die Schilderungen von Assimou Tourés Highlight-Spielen in seiner kurzen Karriere als Fußballer, sondern vielmehr auf die Schlüsse, die der ehemalige Profi aus seinen Erfahrungen fürs Leben mitgenommen hat. Diese gibt er gut verständlich im vorliegenden Buch an seine Leser weiter. Man mag sich als Deutscher einige Scheiben abschneiden an dem unaufgeregten Umgang mit Themen, die außerhalb der eigenen Einflusssphäre liegen. Touré hält mit seinen Emotionen nicht hinter dem Berg und bleibt glaubhaft in seinen Schilderungen. Diese Anleitung zum Glücklichsein trotz vieler Widrigkeiten ist ungeachtet des stattlichen Preises für das Büchlein sehr empfehlenswert für Menschen mit Hang zu Schwermut und Melancholie. Darüber hinaus nimmt man ganz nebenbei teil an einigen Highlights des nationalen und internationalen Fußballs in der Frühphase dieses Jahrtausends.

Christoph Mahnel 
06.12.2021

 
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Das Buch:

Assimou Touré: Erst Heim, dann Heimat. Mein Leben als Deutscher

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München: Nagel & Kimche 2021 192 S., € 22,00 ISBN: 978-3-312-01236-7

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