Medien & Gesellschaft

Hemmungslos nicht heucheln

Ach, wie lang, lang ist?s her, seit Heiner M?ller gegangen ist? Gestern war?s! Vor bald zwei Jahrzehnten. M?ller war der erste aus der Riege des starken Jahrgangs (1929) der deutschen Literatur. Peter R?hmkorf ging 2008, Christa Wolf 2011. Was bleibt?

Mit uns sind Kunert und Enzensberger. M?ller, Kempowski, Wolf und Kunert haben keinen Platz in Peter R?hmkorfs Reden "?ber Kollegen", die in dem Band "In meinen Kopf passen viele Widerspr?che" geb?ndelt sind. Keine Nachlassausgabe. Doch erstmals eine Sammlung von Schriften, die der Schriftsteller nicht nur en passant, hier und dort, dann und wann ver?ffentlichte. Altes also neu? Ja doch! Und: Nicht doch! Ist nur eine Frage der Geburt. Nicht fragen: Ran an den Band! Er ist f?r alle Generationen. F?r alle, die gelegentlich gern ins Museum gehen. Sprich ins Literaturmuseum. Vor allem das der deutschsprachigen Worth?cksler. Ob R?hmkorf je mit einem derart schlichten Wort Ma? nahm? Mit wenigen Worten sagte er, wer Kunstgewerbler, wer K?nstler ist.

Peter R?hmkorf war ein Hemmungsloser, der nicht heucheln konnte. Er war kein krummer Geselle, der kroch. Er war ein kraftvoller Kritiker, der blitzschnell gepriesenen Koryph?en des Geistes, der Kunst, der Kultur, ... eine Kopfnuss verpassen konnte. Peter R?hmkorf hatte den Humor, sich zu erleichtern. Seine Sicht auf die Schreiberei und die Schreiber lie? er sich durch keine Nebelkerzen tr?ben und durch keine Weihrauchkerzen parf?mieren. Peter R?hmkorf hat den Plauderern in der Literatur kein Pardon gegeben. Plauderte er, stimmte der Ton. So zog er die Leser seiner Literatur und Literaturbetrachtungen auf seine Seite.

Dem Literaturerkl?rer liefen die Leute hinterher. Er selbst war, wie er selbst sagte, eine der "poetischen Naturen", der schonungslos ?u?erte, was f?r Naturen die lieben Kollegen waren oder was nicht. R?hmkorf ist vergn?glich zu lesen. Selbst wenn er mit zusammengebissenen Z?hnen spricht. R?hmkorf l?sst sich das Vergn?gliche nicht nehmen. Er muss schmunzeln. Er l?sst schmunzeln. Auch, wenn?s Ohrfeigen gibt. Locker bleiben! Sch?n locker das Buch durchbl?ttern. Wer sagt denn, dass Text f?r Text gelesen werden muss? Angefangen mit dem zu Adorno bis hin zu dem ?ber Zuckmayer. Muss nicht sein. R?hmkorf gem??, der sich auch nicht auf eine Linie trimmen lie?. Jeder kann herauspicken, was ihn zuerst neugierig macht. Auf diese Art lss?t sich am ehesten herausfinden, wie sich der Autor bei den Lesern beliebt macht.

Peter R?hmkorf brachte die Literatur nie in Verruf. Er war ein verliebter Verteidiger der Literatur. Im Verurteilen gro?, war er im Loben nicht kleinlich. Bestes Beispiel daf?r sind im Buch seine Betrachtungen eines glorifizierten Gro?schriftstellers. Zuerst gibt R?hmkorf zu erkennen, dass er ganz und fest auf der Seite der Anti-Thomas-Mann-Truppe steht. Gleichauf mit dem Kollegen Brecht, D?blin, Jahnn ... Abermals beim Nobelpreistr?ger nachgeschaut, l?sst sich R?hmkorf dann doch vom "Zauberer" verzaubern. Was ist geschehen? Der Kritikus der "Meisterwerke" hat die Erz?hlungen als die Pfeiler der Thomas-Mann-Literatur f?r sich entdeckt. Und er ist gl?cklich und preist. Mit ihm die Leser? Wenn den Lesern auch der eine andere Text entgleitet, bitte beide Augen auf den zu Werner Riegel (1925-1956). Neugierig bleiben! Selbst wenn einem der Name nichts sagt.

Der seitenst?rkste Essay des Bandes ist mehr als ein Freundschaftsdienst des Verfassers. F?r den war Riedel "ein junger Geistesmensch mit nichts als Literatur im Kopf", dessen "Zeitgeist bereits die Asche des Vergessens ?berdeckt". Das schrieb Peter R?hmkorf Jahrzehnte sp?ter. Nicht nur r?hrendes Gedenken, ist der Essay ohne Asche. Er hat den Geist der Gegenwart. Er ist Ermunterung wie Ermutigung. Der Werner-Riegel-Essay ist?s wert, empfohlen zu werden - wie der gesamte Band "In meinen Kopf passen viele Widerspr?che". Peter R?hmkorf war ein st?ndiger Entdecker in der Landschaft der Literatur, der in Abgr?nde schaute und ein verl?sslicher Begleiter bei Aufstiegen war.

Bernd Heimberger
28.01.2013

 
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Das Buch:

Peter Rühmkorf: In meinen Kopf passen viele Widersprüche

Göttingen: Wallstein Verlag 2012
368 S., € 24,90
ISBN: 978-3-8353-1171-8

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