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Waren wir die Besten?

Der zweite WM-Titel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kam zwar nicht so unerwartet wie der zwanzig Jahre zuvor gelungene Coup im Regen von Bern, doch waren sich die Experten seinerzeit einig, dass der neu geschaffene Weltpokal am frühen Abend des 07. Juli 1974 von der Mannschaft in die Höhe gerissen werde, die den mit Abstand schönsten Fußball der 10. Fußball-Weltmeisterschaft gespielt hatte. Johan Cruyff und seine Holländer brillierten im Sommer 1974 das schöne Spiel, überrollten und zerlegten zahlreiche Favoriten, dass selbst der zwei Jahre zuvor gekürte Europameister Deutschland im Endspiel eigentlich keine Chance haben dürfte. Das 1:0 durch Oranje nach wenigen Sekunden im Finale schien auch genau darauf abzuzielen. Doch bekanntermaßen kam es nach neunzig Minuten anders, und Franz Beckenbauer und seine Mannen waren es, die die Holländer mit 2:1 niederrangen und aus den Händen von Bundespräsident Walter Scheel die Trophäe entgegennehmen durften.

Als zweiter Teil der Viererreihe und mit viel historischer Verklärung garniert ist der "Triumph von München" fest verankert im bundesrepublikanischen Fußball-Gedächtnis. Doch lohnt sich durchaus ein differenzierter Blick auf diesen Titelgewinn, denn trotz großartiger Spieler und des Vorteils einer Heim-WM war dieses Weltturnier nicht nur ein Zuckerschlecken für die von Helmut Schön trainierte Mannschaft. Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp haben der vom 13. Juni bis zum 7. Juli 1974 in Deutschland stattfindenden 10. Fußball-Weltmeisterschaft ein sehr lesenswertes Denkmal gesetzt: "1974 - Die WM der Genies" lautet der Titel ihres soeben im Werkstatt Verlag erschienenen Buches. Dabei konzentrieren sie sich im Sinne einer umfassenden Betrachtung nicht nur auf die vier Wochen des Championats, sondern beginnen ihre in Tagebuchform verfasste Aufzeichnung bereits am 1. Januar 1973.

Schulze-Marmeling ist eingefleischten Fußball-Fans natürlich ein Begriff als der Autor, der mit seinen Werken den gewünschten Tiefgang in Fußballthemen bringt. Ob zum FC Bayern und seiner jüdischen Vergangenheit, zu Kultspielern wie George Best oder zu Traditionsvereinen wie Celtic Glasgow, Schulze-Marmeling vermag Standardwerke zu schaffen, die beim interessierten Leser keine Wünsche offen lassen. Für das vorliegende Werk hat er Unterstützung von Hubert Dahlkamp erhalten, der bereits bei einem früheren Buch Schulze-Marmelings mitgewirkt hat. Die beiden Autoren fokussieren sich nicht, wie der Titel des Buches vermuten lässt, ausschließlich auf die beiden Ausnahmekönner Cruyff und Beckenbauer, sondern sie blicken sehr breit auf das Fußballgeschehen in den beiden Jahren 1973 und 1974, aber auch auf Themen abseits des Fußballs, wodurch sehr gut eine Atmosphäre der damaligen Zeit und Gesellschaft vermittelt wird.

Die vier zentralen Kapitel bilden die beiden Jahre "1973" und "1974" sowie das WM-Turnier bis zum Ende der zweiten Finalrunde und schließlich das große Finale unter dem Zeltdach im Münchener Olympiastadion. Zunächst ist der Tagebuchstil ein wenig gewöhnungsbedürftig, doch realisiert man als Leser rasch, dass dies wohl der geeignete Weg war, um die Unmenge an Informationen bestmöglich aufzuarbeiten und strukturieren zu können. So gehen auch wieder einmal wandelnde Fußball-Datenbanken aus diesem Buch schlauer heraus, als sie es zuvor waren. Natürlich stehen in dessen Mittelpunkt die bekannten Streitigkeiten um die WM-Prämien im Vorfeld des Turniers, doch machen erst die vielen begleitenden Anekdoten deutlich, dass der DFB schon vor knapp fünfzig Jahren ein der Zeit hinterherhinkender Laden war.

Wer bisher bedauerte, dass es "Wij waren de besten" des niederländischen Autors Auke Kok nicht in einer deutschen Übersetzung gab, der kann dieses Vakuum nun gerne mit dem vorliegenden Buch schließen, denn Schulze-Marmeling und Dahlkamp geben den Vorgängen im holländischen Lager sehr viel Raum. Dabei wird deutlich, dass ein deutscher Lokaljournalist einen nicht unerheblichen Beitrag an einer schlechten Nachtruhe des holländischen Superstars und damit letztlich auch am deutschen Finalsieg hatte. Es ließen sich viele weitere Geschichten und Begebenheiten rund um das WM-Turnier 1974 anführen, die hier Berücksichtigung finden, doch muss man eigentlich nur die klare Leseempfehlung für dieses Buch aussprechen, um beim nächsten Experten-Talk mit neuem Wissen glänzen zu können.

Christoph Mahnel
06.11.2023

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