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Außenseiterin erhält Literaturnobelpreis

Seit letztem Donnerstag ist es bekannt - die deutsche Schriftstellerin Herta Müller erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis. Die Auszeichnung ist mit rund einer Million Euro dotiert und wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel, in Stockholm vergeben. Damit geht die wichtigste Auszeichnung der Literaturwelt zehn Jahre nach der Ehrung für Günther Grass erneut nach Deutschland. Das Nobelpreiskomitee der schwedischen Akademie in Stockholm lobte Müllers Werke als "Landschaften der Heimatlosigkeit" (Quelle: dpa) mit "herausragender schöpferischer und moralischer Intelligenz" und begründete ihre Auswahl unter anderem mit der Reinheit der Dichtung, die Müllers Werken innewohne. Die Schriftstellerin selbst zeigte sich dagegen sehr überrascht, schließlich zählte sie zuvor nicht gerade zu den Favoriten. "Es ist noch nicht in meinem Kopf angekommen, aber ich freue mich sehr" (Quelle: dpa), erklärte sie kurz nach der Bekanntgabe auf einer Pressekonferenz.

Herta Müller ist eine genaue Beobachterin, deren scharfer Blick und politische Unerbittlichkeit auch und gerade vor der eigenen Erfahrung nie Halt macht. Die 56-jährige Autorin, die heute mit ihrem Mann in Berlin lebt, war 1987 aus Rumänien nach Deutschland übergesiedelt und schreibt seitdem über ihre schmerzhaften Erinnerungen an diese Zeit. Ihre Werke sind geprägt vom Vergessen und der politischen Verfolgung im totalitären System des kommunistischen Ceausescu-Regimes. Sie gilt als Chronistin des Alltagslebens in der Diktatur. Seit Anfang der 90er Jahre und der Übersetzung ihrer Bücher in mehr als 20 Sprachen, zählt die Frau, die eigentlich nie Schriftstellerin werden wollte, zu den wichtigen Autoren im internationalen Literaturbetrieb. Mittlerweile wird die diesjährige Literatur-Nobelpreisträgerin als Meisterin der lyrischen Prosa angesehen. Herta Müller erhielt auch bereits zahlreiche Auszeichnungen für ihre Werke, darunter den Kleist-Preis, den Ricarda-Huch-Preis der Stadt Darmstadt, den Marie-Luise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt, den Europäischen Literaturpreis Aristeon, den Franz-Kafka-Preis sowie den Joseph-Breitbach-Preis. Seit 1995 ist Herta Müller Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 

Zuletzt hatte sie in diesem Herbst mit ihrem neuen Roman "Atemschaukel", der ihr persönliches Schicksal in den Mittelpunkt rückt, großes Aufsehen erregt und viel Anerkennung gefunden. Thema ist die in ihrer Heimat lange Zeit tabuisierte Deportation deutschstämmiger Rumänen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren danach in der damaligen Sowjetunion. Worüber ein ganzes Land bis heute schweigt, davon erzählt Herta Müller. Das Buch, das mit dem Satz "Alles, was ich habe, trage ich bei mir" beginnt, wurde von vielen Kritikern bereits als Meisterwerk der Literatur gepriesen und stärkte diesmal die Favoritenrolle Müllers für den Nobelpreis, für den sie bisher eigentlich als Außenseiterin gehandelt worden war. Gleichzeitig ist die frisch gekürte Preisträgerin Herta Müller mit dem Roman auch für den diesjährigen deutschen Buchpreis nominiert, der am heutigen Montag in Frankfurt vergeben wird. Man darf also gespannt sein, ob sie auch hier das Rennen macht.

Herta Müller: Atemschaukel
München, Carl Hanser Verlag
300 S., € 19,90
ISBN: 978-3-4-23391-1

Mareike Palmy
12.10.2009

 
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