Glossen & Berichte

Ken Follett: «Die Menschen des Mittelalters waren genau wie wir»

Hamburg (dpa) - Mit Thrillern und Geschichtsromanen erzielte der britische Autor Ken Follett (58) weltweit eine Auflage von mehr als 100 Millionen - dank zündender Storys, präziser Recherchen und solidem Schreib-Handwerk. Folletts erfolgreichstes Buch ist der Mittelalterroman «Die Säulen der Erde» (1990), detailreich und drastisch schildert er darin das Geschehen um den Bau einer gotischen Kathedrale. Allein auf Deutsch wurde es 3,5 Millionen Mal verkauft. Nach 18 Jahren erschien am 29. Februar die von vielen Fans ersehnte Fortsetzung: «Die Tore der Welt» (Lübbe-Verlag, Euro 24,95). Der fast 1300 Seite starke Band errang sofort Platz 1 der Bestsellerlisten.

In «Die Tore der Welt» steht nicht mehr der Bau einer Kathedrale, sondern die Pest im Mittelpunkt. Warum ausgerechnet eine Seuche?

Follett: «Der sogenannte Schwarze Tod hat im 14. Jahrhundert ein Drittel der Bevölkerung Europas, Afrikas und des Mittleren Ostens hinweggerafft. Er wurde zum Wendepunkt, der die Weltsicht der Menschen veränderte: Etwa entwickelte sich dadurch die moderne Medizin mit ihrer empirischen Forschung. Vorher war Heilen eine Sache der Kirche gewesen: Kranke legte man in den Hospitälern möglichst nah an einen Altar, damit dessen Heiligkeit sie gesund mache. Durch die Pest wurde der Glauben erschüttert, verlor die Kirche an Einfluss - man hatte erlebt, das sie gegen die Epidemie nichts ausrichten konnte.»

Warum verschlingen heutige Leser eigentlich Romane, die vor so langer Zeit spielen?

Follett: «Die Menschen im Mittelalter waren ja im Prinzip genau wie wir. Wir haben fast alles mit ihnen gemeinsam. Doch ihre Umstände waren völlig andere - es ging viel gewalttätiger, schmutziger, unhygienischer zu. In diesem Spannungsfeld zwischen Nähe und Abstand fasziniert es uns eben, uns vorzustellen, wir würden ihre Leben von damals leben.»

Sie schreiben über starke Frauen, soziale Ungerechtigkeit und eine korrupte Kirche. Ist das alles nicht in Wirklichkeit Ihr Kommentar zur Gegenwart?

Follett: «Überhaupt nicht. Ich will bloß unterhalten - und diese Themen sind zeitlos. Zum Beispiel sind zu allen Zeiten die Menschen die interessantesten, die gegen gesellschaftliche Bedingungen rebellieren - also auch jene emanzipiert wirkenden Frauen des Mittelalters. Es hat sie gegeben. Die Kirche war übrigens der Kulturbringer schlechthin - durch sie entwickelten sich die Künste, Musik und Literatur. Obwohl ich Atheist bin, kann ich daher gar nicht einseitig gegen die Kirche sein. Ich schreibe über die Guten und die weniger Guten in ihr. Beides gibt es allerdings heute auch noch.»

Vor 30 Jahren arbeiteten Sie als Journalist, hatten Schulden und lebten ein normales Leben. Dann dieser gigantische Geld- und Auflagenerfolg. Hebt man da nicht erst einmal ab?

Follett: «Natürlich besteht in solchen Fällen die Versuchung, sich für den reinsten Magier zu halten. Doch das Problem betraf mich nicht. Für mich war mein Erfolg nur toll. Ich habe nämlich immer gewusst, dass die Leute nicht mich lieben, sondern meine Arbeit. Und da ist jedes neue Buch schließlich eine neue Herausforderung, Verpflichtung und Risiko. Ich könnte ja auch scheitern.»

Hat sich in ihrer Wertschätzung der Dinge des Lebens in den vergangenen 30 Jahren etwas wesentlich geändert?

Follett: «Je älter ich werde, desto mehr bedeutet mir meine Familie. Ich bin zwar jung in meine erste Ehe gegangen und Vater eines Sohnes geworden, doch wenn man 19 Jahre alt ist, dann gibt es soviel anderes, was einen bewegt: die Karriere, ein eigenes Haus oder so etwas. Heute verbringe ich so viel Zeit mit meiner Familie wie überhaupt möglich ist.»

dpa
03.03.2008

Eine Rezension von Ken Folletts neuem Buch "Die Tore der Welt" finden Sie unter unserer Rubrik Romane.

 
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