Buch des Monats - Juni 2010

Auf Verbrecherjagd mit Ovid

Es ist so sicher wie Ostern im Frühling und Weihnachten zum Jahresende: Pünktlich zu Beginn des Sommers erscheint ein neuer Brunetti-Roman aus der Feder Donna Leons. Mit "Schöner Schein" ist dieser Tage Numero Achtzehn in einer der erfolgreichsten Krimireihen der letzten Jahrzehnte erschienen. Die Wahl-Venezianerin Leon setzt dabei auf ihr altbewährtes Konzept und macht im Rahmen von 300-400 Seiten ein aktuelles, politisches bzw. soziokulturelles Thema zum Gegenstand eines Falles für Commissario Guido Brunetti.

Im vorliegenden Roman ist es die Müllproblematik, die vor Jahresfrist in Neapel internationale Schlagzeilen gemacht hatte. Zunächst ist Brunetti mit seiner Frau Paola zu Gast auf einem Empfang bei seinen Schwiegereltern, Conte und Contessa Falier. Dort wird er mit einer jungen Freundin seiner Schwiegermutter bekannt gemacht. Franca Marinello, ob ihrer zahlreichen Schönheitsoperationen auch "Superliftata" genannt, findet sogleich Zugang zu Brunetti, da ihre gemeinsamen Vorlieben für einige Schriftsteller der Antike ausreichenden und abendfüllenden Konversationsstoff liefern. Dass sich Conte Falier aus Geschäftsgründen insgeheim ein Urteil von seinem Schwiegersohn über Franca und deren Mann, den deutlich älteren Maurizio Cataldo, erhofft, stört den venezianischen Gutmenschen aber nicht im Geringsten.

In einem parallelen Handlungsstrang wird der Carabinieri Maggior Guarino aus Marghera bei Brunettis Chef Patta in der venezianischen Questura vorstellig. Er wendet sich in einem Fall, der Verstrickungen in die mafiösen Vorgänge rund um das heikle und spätestens seit Neapel jedermann bewusste Thema der Müllbeseitigung aufweist, hilfesuchend an Brunetti. Letzterer ist trotz seines stets hilfsbereiten Naturells ein wenig skeptisch, da sich Guarino nur halbherzig über die wahren Fakten und vollständigen Zusammenhänge auslässt. Glücklicherweise kann Brunetti dem sich in einer höchst dubiosen Mission befindlichen Carabinieri noch einige Informationen entlocken, bevor dessen Leiche kurze Zeit später in einem Industriegebiet gefunden wird.

Ohne zuviel vorweg zu nehmen, ist es für den erfahrenen Brunetti-Leser auch nicht überraschend, dass die beiden Handlungsstränge über einige Ecken hinweg ihren Zusammenschluss finden. Überraschend dagegen und für den Leser rundum zufriedenstellend ist es dieses Mal Brunetti selbst, der letztlich den Ausgang der Dinge maßgeblich beinflusst. Während er für gewöhnlich den offensichtlichen Zusammenhängen in seiner Position machtlos gegenübersteht, kann er in "Schöner Schein" seinen moralischen und ethischen Grundsätzen vollauf gerecht werden.

Auch in mancherlei anderer Hinsicht ist es ein ungewöhnlicher Brunetti-Roman: Venedig versinkt im Schnee und leidet nicht wie sonst unter Hitze und Touristen oder dem für Venedig nicht unüblichen Acqua alta. In "Schöner Schein" wird weniger gekocht und gespeist als sonst, dafür wird ausgiebiger über literarische Präferenzen diskutiert. Neben einem Exkurs über Paolas Lieblingsschriftsteller sind es insbesondere die alten Klassiker von Ovid und Cicero, über die Brunetti mit "Superliftata" philosophiert, wobei Ovids "Fasti" letztlich einen nicht unerheblichen Beitrag zur Auflösung des Falles leisten!

Die Tatsache, dass mit Werner Schmitz ein neuer Übersetzer der deutschen Version am Werk ist, verringert allerdings nicht die Gefahr der Abnutzung, die für eine derart langlebige Reihe sicherlich besteht. Doch wer Brunetti und sein Umfeld einmal liebgewonnen hat, wird sich die nächste und neueste Geschichte einfach nicht entgehen lassen, insbesondere wenn wie in "Schöner Schein" der Fall mit einer stimmigen und sich letztlich auflösenden Story zu einem der besseren Romane in der Reihe gehört. Verpackt werden die Bücher bereits seit Fall Numero Eins bei Diogenes in einem klassisch anmutenden und sich hochwertig anfühlenden Einband, der mit 21,90 Euro zwar einen stattlichen Preis hat, aber dem Leser ein gehobenes und ganz besonderes Lesegefühl bereitet.

Christoph Mahnel
07.06.2010

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Donna Leon: Schöner Schein. Commissario Brunettis achtzehnter Fall. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz

CMS_IMGTITLE[1]

Zürich: Diogenes Verlag 2010
344 S., € 21,90
ISBN: 978-3-257-06745-3

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.