Buch des Monats - April 2008

Sarkozy «rast» in den Élysée: Yasmina Rezas Bestseller auf deutsch

Zwei Welten prallten aufeinander, doch die Begegnung zwischen Yasmina Reza und Nicolas Sarkozy war ein Treffen auf Augenhöhe. Ende Juni 2006 stattete die gefeierte Theaterautorin dem Tausendsassa in Frankreichs Regierungskabinett einen Besuch ab. An diesem Tag im Innenministerium an der Pariser Place Beauvau beginnt die Schriftstellerin später ihr Wahlkampftagebuch. Er habe sich ihr Anliegen freundlich, dann ungeduldig angehört und sofort Ja gesagt, schreibt sie darin. Ein gutes Gespür: Damals war weder sicher, dass der damalige Innenminister gut ein halbes Jahr später Kandidat der konservativ-gaullistischen Partei UMP werden würde. Geschweige denn, noch mal gut sechs Monate später, Frankreichs nächster Präsident.

Ein knappes Jahr lang begleitete Reza die Parforcetour in den Élysée. In Frankreich war das Buch, das keine drei Monate nach der Amtseinführung des neuen Staatschefs auf den Markt kam, umjubelte Neuerscheinung der literarischen Herbstsaison 2007. Jetzt ist «Frühmorgens, abends oder nachts» auch auf deutsch erschienen.

Die Dramatikerin, die für ihre Theaterstücke («Der Gott des Gemetzels») üblicherweise in die Abgründe des Alltags «normaler» Menschen blickt, beobachtet und reflektiert den Inbegriff des politischen Tiers, des rastlosen Machtmenschen. Sie verfolgt Treffen des Wahlkampfteams, Familienfeste, führt Vier-Augen-Gespräche mit ihrem Hauptdarsteller. Hört und sieht die «absurde» Welt der Politik, «wo die Worte so leicht sind wie Helium. Sobald man sie loslässt, fliegen sie fort und verschwinden aus der Zukunft». Sie begleitet den Kandidaten auf den Weihnachtsmarkt von Colmar, ins Airbuswerk von Toulouse, nach Korsika, wo er vom pittoresken Inseldorf «nichts sehen hat wollen außer der schwarzen Wolke aus Kameras und Mikros, die rückwärts vor ihm hermarschiert». «Ortstermine» im Politiker-Jargon, «Nicht-Orte» in ihrem. Erlebt, wie er bejubelt und ausgepfiffen wird.

Entstanden ist keine Enträtselung Sarkozys, vielmehr ein gnadenloses und witziges Mosaik seines Charakters: Der intelligente Politiker, «beflissen zärtliche» Vater, eitle Kindmann, dem «ein Anteil Gosse» fehlt. In Gespräche anderer Leute schaltet er sich ein, «genervt, weil er nicht mehr existiert». Er hat «sanfte, lächelnde Augen», humpelt, wackelt nervös. Einmal scheint er in eine Zeitung vertieft, doch es war bloß die Anzeige: «Sie ist schön, die Rolex».

Reza genießt nahezu ungehinderten Zugang zu Sarkozy. Cécilia kommt selten vor, als hätte Reza gewusst, dass die damalige Gattin später die Scheidung einreichen würde. Sie sieht, wie Cécilia den Blackberry konsultiert, Sarkozy den Chihuahua Big ausführt («für den er sich schämt»), eine Schönheit sich an ihn schmiegt, den «wiegenden Gang» von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hört, wie er sagt: «Berlin, das ist der reinste Horror für mich!»

Heute scheinen beide einen Pakt geschlossen zu haben. Weder hat sich Sarkozy je öffentlich zu seinem Porträt geäußert. Noch kommentiert die Literatin das Gebaren des Staatsoberhaupts. Ihr Werk behandelt ohnehin beide: Offen beschreibt Reza, wie sie nur langsam warm werden, sich schließlich duzten. Zwischen dem x-ten Ratschlag dann («nicht das rosa Hemd») und einem Tanz geht aber auch die Distanz verloren, beginnt die im Tross «eingebettete» Autorin, mitzufiebern. Auch verbindet die Biografie Dichterin (50) und Porträtierten (53): Beide Kinder ungarischer Immigranten, mit jüdischen Wurzeln. Dass das Buch beiden nutzen würde, wussten Reza und Sarkozy von Anfang an. «Selbst, wenn Sie mich niedermachen, werde ich dadurch nur größer», soll er zu ihr gesagt haben.

Schon kurz nach seiner Amtseinführung im Mai 2007 begann Sarkozy, als allgegenwärtiger «Omnipräsident» die Franzosen mit stets neuen Ideen sowie seiner Blitzhochzeit mit Carla Bruni in Atem halten. Und so ist Rezas Buch über die «monotone Raserei» des Wahlkämpfers aktueller denn je: Es gibt nur «Frühmorgens, abends oder nachts» - keinen Mittag, wo die Sonne im Zenit ruht.

Dorothée Junkers, dpa
31.03.2008

 
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Das Buch:

Yasmina Reza: Frühmorgens, abends oder nachts

München: Carl Hanser Verlag 2008
208 S., € 17,90
ISBN: 978-3-446-23029-3

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