Romane

Von der hohen Musikkunst

Lange Zeit hat Pearl Swain davon geträumt, mit ihrer Geige die Bühnen der Welt zu erobern und als Berufsmusikerin ihr Publikum zu begeistern. Doch mit Anfang 40 erkennt sie, dass der Zug zu einer Weltkarriere längst abgefahren ist und sie den jahrelang gehegten Traum endgültig begraben kann. Seit der Trennung vom Ehemann hält sich die Journalistin als Geigenlehrerin und Verkäuferin in einer kleinen Instrumentenhandlung einigermaßen über Wasser. Große Sprünge sind in dieser Situation zwar nicht möglich, aber die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt. Und tatsächlich: Mit der Bekanntschaft Hallies zeigt sich ein erster Silberstreif am Horizont, der auch Pearl wieder an eine frohere Zukunft glauben lässt.

Hallie hat in ihren jungen Jahren bereits viel erfahren müssen - als Waise weiß sie nicht, was Liebe und Zuneigung wirklich bedeuten, und die Tante, bei dir sie untergekommen ist, gehört auch nicht unbedingt zur fürsorglichen Sorte - und trotzdem hat sie sich ein Stück weit ihr kindliches Gemüt bewahrt. Und etwas anderes ist an ihr besonders: Sie verfügt über ein absolutes Gehör - eine Tatsache, die Pearl regelrecht eifersüchtig macht, aber sie auch dazu bewegt, Hallies Berufung, eine großartige Geigerin zu werden, voranzutreiben. Doch bei all ihren Bemühungen bleibt Pearl die Muße, über das eigene Leben nachzudenken und sich dabei die Frage zu stellen: Was wäre, wenn ... In Hallie sieht sie, wie sie selbst vor 25 Jahren war und welche Träume sie damals verfolgte. Umso geschockter reagiert die Geigenlehrerin, als Hallie alles hinschmeißt und nicht mehr zum Unterricht erscheint.

Ein großes Geheimnis versteckt sich hinter dem Versuch, dass Hallie sich als Unnahbare für Außenstehende gibt. Blaue Flecken und vehementes Schweigen veranlassen Pearl zu glauben, dass im Alltag ihrer Schülerin nicht alles zum Besten steht. Als die 40-Jährige anfängt, sich in die Belange des Mädchens einzumischen, zerbrechen die zarten Bande eines beginnenden Vertrauensverhältnisses. Pearl erkennt, dass sie erst ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommen muss, um dem Glück späterhin auf die Sprünge helfen zu können. Und dann endlich lernt sie, sich zu öffnen - für neue Bekanntschaften und eine Liebe, die alles verändert.

Barbara Hall hat als erfolgreiche Autorin und Produzentin bekannter Fernsehserien wie "Für alle Fälle Amy" und "Emergency Room" bereits bewiesen, dass in einer Tragödie stets ein Funken von Humor versteckt ist. Dies ist auch die große Stärke ihres berührenden Romans "Die Geigenlehrerin", dem trotz der Kraft, die in den vielfältigsten Emotionen liegt, etwas Beruhigendes, Erheiterndes innewohnt. Ähnlich gestaltet sich dann auch die Lektüre, denn es ist ein Wechselspiel aus Traurigkeit und Frohsinn, das die Lektüre von Barbara Halls neuestem Buch extrem reizvoll macht. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, Literatur und Musik im Einklang zu bringen. Aber in "Die Geigenlehrerin" gelingt dieser Versuch so gekonnt, dass man sich hiermit exzellent unterhalten fühlt - sogar so gut, dass man diesem herzzerreißendem und zugleich witzigem Meisterwerk kaum widerstehen kann.

Susann Fleischer
18.04.2011

 
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Das Buch:

Barbara Hall: Die Geigenlehrerin. Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf, Gabriele Werbeck

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München: btb Verlag 2011
256 S., € 8,99
ISBN: 978-3-442-74229-5

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