Briefliteratur & Tagebuch

Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger: ein literarisch wertvollstes Zeitdokument

Die Eine: eine Lyrikerin und Cover-Girl des "Spiegels" 1954. Der Andere: der "zornige junge Mann", Netzwerker, zugleich Strippenzieher im Literaturbetrieb, dessen Lyrik-Karriere 1957 startet. Ingeborg Bachmann (Jahrgang 1926) und Hans Magnus Enzensberger (Jahrgang 1929) lernen sich im Oktober 1955 bei der Tagung der Gruppe 47 in Tübingen kennen. Nach einem erneuten Zusammentreffen anlässlich einer Gesprächsrunde zur Literaturkritik in Wuppertal im Oktober 1957 kommt es am 27. November 1957 zur ersten (brieflichen) Kontaktaufnahme: Die Initiative geht von Enzensberger aus. Danach setzt eine Korrespondenz ein, von der insgesamt 130 Stücke überliefert sind: 53 von Bachmann, 77 von Enzensberger. Versammelt findet man diese Schriftstücke in "»schreib alles was wahr ist auf«".

200 Seiten lang tauschen sich die beiden emblematischen Figuren, die Ikonen der deutschen Nachkriegsliteratur über Literatur im Allgemeinen wie über deren Details, über eigene Vorhaben (kritischer wie großer Moment: die Debatten um das legendäre "Böhmen liegt am Meer", dem von Bachmann publizierten Gedicht in Enzensbergers "Kursbuch") aus, reflektieren über das Zeitgeschehen, polemisieren gegen alles und halten sich mit ihrem Urteil auch über die lieben Kollegen nicht zurück. Dabei prallen die unterschiedlichen (Schreib-) Charaktere aufeinander: Auseinandersetzungen, die der eine pragmatisch-ironisch ausficht, die andere prinzipiell.

Abgerundet wird das Lesevergnügen durch einen ausführlichen Stellenkommentar nach den Briefen. Dieser ermöglicht dem Leser die Aneignung von Zusatzwissen, wie man es nirgendwo anders so zu finden vermag. Den herausgebenden Verlagen Suhrkamp und Piper gelingt ein Juwel, das alles Vergleichbare überstrahlt. Beeindruckend ist die Intensität des Disputes von Bachmann und Enzensberger. Jeder ihrer Briefe ist ein wichtiges, bedeutendes Zeitdokument sowie Zeugnis außerordentlich schriftstellerischen Könnens. Ohne jeden Zweifel ein Genuss auf höchstem erzählerischem Niveau. Also unbedingt kaufen, denn "»schreib alles was wahr ist auf«" gehört einfach in jedes Bücherregal.

Mit "»schreib alles was wahr ist auf«", dem Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger, kriegt man ein besonderes Stück Literatur sowie wertvollstes Zeitdokument in die Hände. Und das vorliegende Buch bietet dem Leser eine einzigartige Gelegenheit: Man lernt eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts sowie den Georg-Büchner-Preisträger Enzensberger ein Stück weit von ihrer privaten, persönlichen Seite kennen. Außerdem macht es nacherlebbar, wie zwei der überragenden Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Welt, die Literatur, den Betrieb, sondern auch sich selbst darstellen und gesehen werden wollen. Definitiv ein Geniestreich unter den Büchern dieses Jahres!

Literatur von einer sprachlichen Wucht, dass es einen glatt umhaut - wenn zwei Ausnahmeschriftsteller wie Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger sich Briefe schreiben, werden diese "Nachrichten" zu einem Genuss ohnegleichen. Und zu einem Spiegel der damaligen Zeit. Über 14 Jahre (von 1958-1972) liest man aus erster Hand, was Bachmann und Enzensberger bewegte. Solch ein Vergnügen ist von größter Seltenheit, und deshalb höchst außergewöhnlich im besten Sinne. Absolut grandios!

Susann Fleischer
12.11.2018

 
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Das Buch:

Hubert Lengauer (Hg.): »schreib alles was wahr ist auf«. Der Briefwechsel Ingeborg Bachmann - Hans Magnus Enzensberger

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Berlin: Suhrkamp Verlag 2018 und
München: Piper Verlag 2018
479 S., € 44,00
ISBN: 978-3-518-42613-5

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