Medien & Gesellschaft

Zurück in die angeschlossenen Funkhäuser

Trotz technisch hochaufwändiger Fernsehshows, in denen sämtliche Szenen aus allen Blickwinkeln nachgestellt werden, oder Myriaden von Livestreams im Internet, die einen auf jedem Fußballplatz der Welt live dabei sein lassen, ist es eine nach außen hin antiquiert wirkende Institution, die bei den echten Fußballfans in Deutschland auch nach fünfzig Jahren Bundesliga immer noch die beliebteste, weil ursprünglichste und dramatischste Informationsquelle darstellt: die Bundesligakonferenz der ARD-Hörfunkanstalten, die bei den 15:30-Uhr-Spielen am Samstagnachmittag stets um 16:55 Uhr beginnt und mindestens zwanzig, manchmal auch dreißig Minuten lang für Fingernägelbeißen und Zittern sowie Schockstarre und hemmungslosen Jubel sorgt. Die Schlusskonferenz lebt von der emotionalen Schilderung der Spiele durch die Radiokommentare, das ständige Wechselspiel zwischen den einzelnen Schauplätzen und der nicht zu verachtenden Portion Unwissenheit beim Hörer aufgrund der fehlenden Visualisierung des Spiels.

Mit dem vorliegenden von Ludwig Hertel herausgegebenen und beim Suhrkamp Verlag erschienenen Büchlein "Tooor ... in Deutschland!2 erfährt die ARD-Schlusskonferenz, wie sie ob ihrer zeitlichen Lage am Ende der Spiele auch genannt wird, eine willkommene und längst überfällige Ehrerbietung. Im Vorwort schildert Sabine Töpperwien, die wie auch ihr Bruder Rolf selbst unzählige Male in den Konferenzen als Übermittlerin von Triumphen und Tragödien aufgetreten ist, ihre Kindheitserinnerungen an die Schlusskonferenzen und lässt dabei nicht unerwähnt, dass sie einst im Jahre 1989 als erste Frau am Mikrofon im Stadion eine zunächst argwöhnisch begutachtete, aber dann rasch geschätzte Stimme aus dem Äther wurde.

Jeder Fußballfan kennt den hektischen Ausruf eines zunächst nicht zugeschalteten Reporters, der sich mit "Tor in Hamburg" oder "Elfmeter in München" in den Mittelpunkt drängt. Sofort herrscht Hochspannung beim Fan, da der angekündigte Torerfolg stets zwei Möglichkeiten zulässt, so dass man umgehend versucht zu ergründen, ob die Menge tobt und es womöglich der Heimmannschaft gelungen ist, ein Tor zu erzielen, oder ob die Stimme des Reporters die Stille im Stadion übertüncht und die Gastmannschaft erfolgreich war.

Im Hauptteil von "Tooor ... in Deutschland!" finden sich die Transkriptionen von neun legendären Schlusskonferenzen: Eingebettet in die beiden Konferenzen des jeweils ersten Spieltags in der Debütsaison 1963/64 sowie der aktuellen Jubiläumssaison 2012/13 finden sich zahlreiche Highlights der Bundesliga-Geschichte. Einen prominenten Platz nimmt selbstredend die Schalker Meisterschaft der Herzen ein, die mit einem Stich in selbiges dank Patrick Anderssons finalem Schuss ins Hamburger Tor endete. Man vermag beinahe das Klatschen von Michael Kutzops Elfmeterschuss an den rechten Außenpfosten des Weserstadions hören, der seinen Bremern die Meisterschaft 1985/86 gesichert hätte. Überstrahlt werden diese beiden dramatischen Meisterschaftsentscheidungen zugunsten des FC Bayern München nur noch durch die wohl legendärste Schlusskonferenz aus dem Jahre 1999, als am letzten Spieltag sage und schreibe noch fünf Mannschaften für den letzten vakanten Abstiegsplatz infrage kamen.

Auch heute noch bereitet es Fußballfans in Deutschland ein Gänsehautfeeling, wenn Günther Koch, Manni Breuckmann und Dirk Schmitt die Ereignisse aus Nürnberg, Bochum und Frankfurt zum Besten geben. Dass dabei am Ende die anfangs noch am besten platzierte Mannschaft aus Nürnberg den Weg in die Zweitklassigkeit antreten musste und sich die vor dem letzten Spieltag auf dem Abstiegsplatz liegende Eintracht aus Frankfurt mit einem Übersteigertor in allerletzter Minute retten konnte, befeuerte die unglaubliche Dramatik dieser Konferenz ins Unermessliche - und zwar derart, dass sie im Nachgang mit zahlreichen Radiopreisen überschüttet wurde. Alleine diese 30 Seiten im vorliegenden Büchlein werden von Fußballfans, insofern sie nicht aus Nürnberg kommen, sicherlich zigmal rauf- und runtergelesen werden.

Je nach Fanzugehörigkeit eines jeden Lesers werden so einige Reporternamen mit nostalgischen, traurigen oder wunderbaren Momenten verknüpft sein. Bayern-Fans werden sich nur allzu gerne an Gerd Rubenbauers rollendes "R" erinnern, mit dem er die Tore aus dem Olympiastadion ankündigte. Der ganze Ruhrpott litt und jubelte mit Werner Hansch, der Stimme des Westens, während ein Lehrer aus Franken dem Mauerblümchen aus Nürnberg, den "Glubberern", mit seinen leidenschaftlichen Reportagen im Rundfunk ein Denkmal setzte.

Mit einem allerhöchsten Lob ist "Toor ... in Deutschland" vor allem dafür zu versehen, weil zur optimalen Nachvollziehbarkeit der jeweiligen Ausgangssituation die Tabellenstände vor dem relevanten Spieltag aufgeführt sind, so dass man sich als Leser für die Schlusskonferenzen ideal präparieren kann, bevor man sich auf das eigentliche bekannte Terrain der Bundesliga-Geschichte begibt, dabei aber beinahe nochmal genau dieselben Emotionen wie einst beim Live-Erlebnis durchläuft. Der wahre Fußballfan wird sich bei der einen oder anderen Schlusskonferenz sicherlich fragen und womöglich auch noch daran erinnern können, wo er denn damals die dramatische Sequenz aus den Stadien verfolgt hatte.

Den runden Abschluss zu einem höchst gelungenen und längst überfälligen Fußball-Büchlein bietet eine Kurzinfo zu allen in den aufgeführten Konferenzen vorkommenden Sprechern, von denen jeder einzelne sicherlich unzählige Male in die angeschlossenen Funkhäuser zurückgeben durfte.

Christoph Mahnel
10.06.2013

 
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Das Buch:

Ludwig Hertel (Hg.): Tooor ... in Deutschland! Die dramatischsten Schlusskonferenzen aus 50 Jahren Bundesliga

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Berlin: Suhrkamp Verlag 2013
224 S., € 7,99
ISBN: 978-3-518-46428-1

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