Wissenschaften

Varus reloaded - Geschichte neu geschrieben

Richtet man bei einer Autofahrt durch Niedersachsen auf der A7 von Süden nach Norden seinen Blick zwischen den Anschlussstellen Echte und Seesen/Harz nach links, dann erblickt man historisches Gelände, nämlich die beiden Höhenzüge Harzhorn und Kahlberg. Gemäß neuesten Erkenntnissen hat sich dort vor knapp achtzehn Jahrhunderten eine Schlacht zugetragen, die sich mit dem bisherigen Geschichtsbild nicht erklären ließ. Doch waren schließlich die gemachten Funde zu eindeutig, so dass die Archäologie dafür sorgte, dass einige Kapitel der römischen und der römisch-germanischen Geschichte neu geschrieben werden müssen.

Bisher war man davon ausgegangen, dass nach der Varusschlacht bei Kalkriese im Jahre 9 n. Chr. die Römer in Germanien primär auf die Sicherung ihrer Grenzen aus waren und daher den eigens dafür angelegten Limes nicht mehr weit überschritten hatten. Doch besagte Funde am Harzhorn auf dem Gebiet der Gemeinde Kalefeld im Landkreis Northeim, das gut dreihundert Kilometer vom obergermanischen Limes entfernt ist, zeigen ohne Zweifel, dass hier Kampfhandlungen zwischen Römern und Germanen stattgefunden haben. Aufgrund einiger Münzfunde lässt sich sogar der Zeitraum sehr präzise einschränken, so dass man davon ausgehen kann, dass römische Truppen unter Führung des Kaisers Maximinus Thranx im Jahre 235/236 n. Chr. in die Kampfhandlungen verwickelt waren.

Alles hatte im Jahre 2008 mit den ersten Funden am Harzhorn begonnen. Seitdem konnten bereits mehr als 2.800 archäologische Fundstücke geborgen und archiviert werden. Knapp drei Jahre lang planten Heike Pöppelmann, die Direktorin des Braunschweigischen Landesmuseums, ihr Team und hinzugezogene Experten die Ausstellung "Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn". Diese ist seit dem 1. September 2013 zugänglich und das Braunschweigische Landesmuseum wird noch bis zum 19. Januar 2014 seine Türen geöffnet haben.

Das vorliegende Buch zu dieser Ausstellung ist weit mehr als man für gewöhnlich kennt, wenn man an einen Begleitband oder einen Katalog zu einer Museumsausstellung denkt. Das Braunschweigische Landesmuseum hat hier ein Buch hervorgebracht und durch Theiss verlegen lassen, das seine Leser faszinieren und mit hundertprozentiger Garantie zu einem Besuch der Ausstellung animieren wird. In der umgekehrten Richtung werden Besucher der Ausstellung dieses Werk erwerben und im Nachgang angetrieben, sich tiefer in die archäologische Forschungsarbeit, die hinter der Ausstellung liegt, zu vergraben.

Auf 400 Seiten berichten zahlreiche Geschichtsforscher und Archäologen aus ihren Blickwinkeln und von ihren Arbeitsschwerpunkten rund um die Funde am Harzhorn. Michael Meyer beklagt beispielsweise die für gewöhnlich schwierige Situation von Archäologen, dass viele Schlachten der Geschichte ohne überliefertes, geschweige denn lokalisiertes Schlachtfeld auskommen müssen. Dagegen ist die Situation im vorliegenden Fall beinahe paradiesisch, denn sowohl die Fundvorkommen in Hülle und Fülle als auch die Freiheiten und Möglichkeiten der Archäologen am Harzhorn erlauben eine perfekte Rekonstruktion der einzelnen Schlachtabschnitte. Diese detaillierte Darstellung ist ein Höhepunkt des vorliegenden Buches, wenn auf rund 50 Seiten sämtliche Schlüsse der Experten den Leser mitten ins Schlachtgetümmel stürzen und er die einzelnen Kampfabschnitte glaubhaft nachvollziehen kann.

Die Funde am Harzhorn sorgten für eine äußerst kuriose Situation in der Geschichtsforschung. Als 1620 der französische Altphilologe Claude de Saumaise die "Historia Augusta" bearbeitete, hatte er eine in dieser Kaisergeschichte enthaltene Überlieferung besagten Kaisers Maximinus Thranx mit dessen Angaben über ein Vordringen von 300 bis 400 Meilen in das innere Germanien stark bezweifelt und daher in seiner Übersetzung eigenmächtig auf etwa ein Zehntel der gemachten Angaben korrigiert. Diese Fehleinschätzung hielt sich in der Geschichtsforschung knapp vier Jahrhunderte lang, bis die gemachten Funde Maximinus Thranx schließlich Recht gaben. Im vorliegenden Buch wird diese zweimalige Änderung eines historischen Aspekts ausführlich dargestellt.

"Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn" ist reich an Abbildungen mit den Fundstücken, die auch in der Ausstellung vor Ort in Braunschweig zu sehen sind. Das Glossar bietet dem Leser eine hilfreiche Übersicht an verwendeten Fachbegriffen aus der Archäologie bzw. der römischen Geschichte. Jeder Leser wird sich glücklich schätzen, dieses Buch in Händen halten zu dürfen, da es einen sowohl mit auf eine begeisternde Reise in die Vergangenheit nimmt als auch einem klar vor Augen führt, wie Geschichte durch archäologische Arbeit im Hier und Jetzt geschärft und mitunter sogar neu geschrieben wird.

Christoph Mahnel
04.11.2013

 
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Das Buch:

Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.): Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn

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Stuttgart: Theiss Verlag 2013
407 S., € 39,95
ISBN: 978-3-8062-2822-9

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