Wissenschaften

Ein bewegender Geist

Mit der vorliegenden Gedenkschrift wird Klaus Wittstadt geehrt. Er war über 30 Jahre Ordinarius für Fränkische Kirchengeschichte, respektive für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Würzburg.

Der Band versammelt verstreut erschienene Einzelbeiträge des Kirchenhistorikers zur Theologie- und Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere zum Verlauf des II. Vatikanischen Konzils, dessen Augenzeuge Wittstadt zeitweise war.

Substantielle Beiträge berichten über Angelo Giuseppe Roncallis Biographie und geistliche Entwicklung, über Paul VI., über den Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger, aber vor allem über Kardinal Suenens und Kardinal Döpfner, denen er persönlich begegnete. Einer der hier wiederabgedruckten Aufsätze lautet programmatisch: " Konzilspersönlichkeiten und ihre Impulse zur Verlebendigung des Glaubens".

Das Vorwort des Herausgebers läßt die Bedeutung ahnen, die das II. Vaticanum für den jungen Wittstadt gewinnen sollte. Die Erfahrung des Aufbruchs, des Aufstoßens des Fensters zur Welt, der Hinwendung zum Einzelnen, dies waren lebenslang wirkende Prägungen. Zeitlebens befand sich daher auch die Didaktik im Zentrum des Wirkens Klaus Wittstadts. Sie blieb es auch, als sich seine Tätigkeit von der Religionspädagogik zur geschichtlichen Forschung hin verschob.

Der Herausgeber sagt in seinem Vorwort: "Wiederum ins Bewußtsein gerufen (werden) soll das Bild einer lebendigen, nur von ihrem geschichtlichen Wesen her begreifbaren Kirche, das Klaus Wittstadt in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen so kraftvoll zeichnen konnte." Und es ist vielleicht sogar die größte akademische Leistung des Würzburger Ordinarius gewesen, das Ringen der Menschen um die Erkenntnis und um die Vermittlung der göttlichen Botschaft so eindrucksvoll und kraftvoll dargestellt zu haben. In seinen Vorträgen wurde Kirche in ihrer Verschränkung von Glaubensschatz, Weltkirche und Ortskirche begreifbar.

Der Ständige Vertreter des Diözesanadministrators des Bistums Würzburg, Karl Hillenbrand, faßt Idee und Programm des Wirkens Klaus Wittstadts: "Durch die Dynamik des Geistes Gottes findet die Kirche gerade in schwierigen Konflikten ihren Weg durch die Zeit und wird dadurch vor Selbstgenügsamkeit, Erstarrung, Verkrustung und Uniformität bewahrt. So kann sie immer wieder neu zum Licht der Völker werden."

Klaus Wittstadt war eine bedeutende Lehrerpersönlichkeit, und es ist naturgemäß eine Schwierigkeit des Biographen, diese Wirksamkeit zu würdigen. Professor Wittstadt war in vielen Gremien, Ausschüssen, Vereinigungen ehrenamtlich tätig, und er erreichte ungezählte Menschen. Er zündete vielen ein Licht an. Er hat Kirche in ihrer Fehlerhaftigkeit historisch und gegenwärtig glaubwürdig werden lassen; als confessor und ganz und gar echte Persönlichkeit setzte er Zeichen dafür, was Kirche ist. Diese Verdienste entziehen sich der Dokumentation, sie leben im Gedächtnis vieler fort.

Der vorliegende Sammelband ist eine verdienstvolle Arbeit, die den kirchengeschichtlichen Spannungsbogen von der Modernismuskontroverse an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bis hin zu den Auseinandersetzungen während des II. Vatikanischen Konzils und ihre Rezeption spannt. Das Buch hat jedoch auch die Funktion eines Gedenkbandes, und da leistet es nur wenig. Das In memoriam von Wolfgang Weiß zeichnet trocken den Lebensweg oder eher: den akademischen, beruflichen Weg des Toten nach. Gerade diese Mazeration, die das Fleisch vom Knochen ablöst, widerspricht der Lebensfreude, für die Klaus Wittstadt auch bekannt und geliebt war. Die ingeniöse Freude und Zugewandtheit waren ein bestimmendes Wesensmerkmal, das in der vorliegenden Gedenkschrift einfach nicht vorkommt. Wo sind die Stimmen der Mitlebenden, die den Lehrer Wittstadt in seiner überbordenden Strahlkraft erlebten und sich be-geistern ließen? W. Weiß bekennt immerhin: "Abstrakte Fragestellungen interessierten ihn nicht, ebenso wenig strukturgeschichtliche Ansätze. Er hatte immer den konkreten Menschen, den Christen im Ringen seiner Zeit, den Gläubigen in den persönlichen und geschichtlichen Herausforderungen vor Augen."

Wo sind die Hinweise auf die Klippen, die es in jedem gesunden Lebenslauf gibt? Wenn der Leser der Gedenkschrift Menschliches erfahren würde, würde der Respekt vor den Leistungen der Lehrerpersönlichkeit sicher nicht geringer werden. Im Gegenteil, der über viele Seiten hin Beschriebene würde sich gewissermaßen gegen seine Lobredner verteidigt finden, die verwechselbaren Lorbeer auf ihn legen.

Wenn der Leser wüßte, daß Klaus Wittstadt eine fast kindliche Freude an moderner Technik hatte, an Automobilen, sein grenzenloses Interesse an theologischen oder kirchengeschichtlichen Büchern, die er teilweise in Antiquariaten sehr teuer einkaufte ("wieso teuer?", sagte er einmal zu mir, "für das, was drin steht, sind die Bücher geschenkt!"), wenn der Leser erführe, daß er die Persönlichkeit seines renommierten akademischen Lehrers Erwin Iserloh durchaus kritisch sah, wäre dies nicht ein notwendiger Teil der einem Gedenken substantiellen Lebendigmachung?

W. Weiß deutet weiterhin auch nicht im Geringsten an, daß Klaus Wittstadt im akademischen Forum nicht nur Freunde hatte. Manche stießen sich daran, daß seine Habilitation ein Vorgang auf kumulativer Basis war. Warum müssen die Hindernisse und Hürden eines Lebensweges verschwiegen sein? Eine Vita, für die über zehn Druckseiten zur Verfügung stehen, läßt den Geschilderten verdienstvoll erscheinen, aber die Verdienste leben nicht.

Die Geschichtschreibung kann als Prozeß ihrer eigenen Unterdrückung aufgefaßt werden. Gegen die Blutleere der Darstellung, die tief inhuman ist, ist gerade Klaus Wittstadt angetreten. Deshalb hätte gerade er eine ihm auch im in Temperament, Offenheit und Ehrlichkeit gemäße Darstellung und Würdigung verdient.

Der Band ist, wenn man von den unbestritten wertvollen Beiträgen Wittstadts selbst absieht, in mancher Hinsicht akademischer Durchschnitt und editorisch-handwerklich sogar grob fehlerhaft, wenn dem Leser auf der vierten Umschlagseite im Buchwerbetext etwa nicht nur einmal mitgeteilt wird, daß der zu Ehrende "am 2. März 2003 verstarb", sondern zweimal.

Dies mögen für den unkritischen Betrachter Kleinigkeiten sein, die verziehen sein sollen. Vor allem, weil es dem Beiredner Karl Hillenbrand gelingt, ein farbenreicheres Licht auf die Persönlichkeit Klaus Wittstadts zu werfen. Er resümiert: "Fähig war er dazu (zu seiner breit aufgestellten Wirksamkeit) durch seinen tiefen Glauben und seine echte Sorge um die Zukunft der Kirche, die verbunden war mit der ehrlichen und belebenden Hoffnung, dass die christliche Botschaft gerade in der Herausforderung der Gegenwart neu ihre Kraft entfalten wird."

Klaus Wittstadt war ein bewegender Geist, der in ungewöhnlichem Maß jede Begegnung respektierte und sich ihr zuwandte. Er praktizierte gewissermaßen eine Theologie des alltäglichen Umgangs, die die Menschen enthusiasmierte, die ihm begegnen durften.

Klaus Wittstadt, eine außergewöhnliche, über die Maßen wirksame und verdiente Persönlichkeit, lebte Kirche und Glauben vor. Er war, wie der vorliegende, etwas hilflose Band glauben machen möchte, mitnichten nur der intellektuelle aufsatzschreibende Akademiker, sondern auch und vor allem der, wie auch seine Handschrift immer verriet, kindlich-freudige Bote seiner Kirche und seines Glaubens. Sein Gedächtnis lebt in den Herzen vieler fort.

h.
11.08.2004

 
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Das Buch:

Klaus Wittstadt: Aus der Dynamik des Geistes. Aspekte der Kirchen- und Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts (hrsg. von Wolfgang Weiß)

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Würzburg: Echter Verlag 2004
350 S.
ISBN: 3-429-02596-6

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