Wissenschaften
Wie der Mensch zum "Bücherwurm" wurde
Sie werden als Bücherwurm oder Leseratte bezeichnet - jene Menschen, für die Lesen weitaus mehr ist als eine nette Abendunterhaltung. Doch wie kam es, dass der Leser mit dem nimmersatten Nagekäfer gleichgesetzt wurde? Schließlich zerstört der Mensch nicht das Buch, er versucht es vielmehr als Kostbarkeit für die Nachwelt zu bewahren. Da gleicht es an einer Ungeheuerlichkeit, dass der Leser als Negativum angesehen wird. Hektor Haarkötter hat sich dieses streitbaren Themas angenommen. In "Der Bücherwurm. Vergnügliches für den besonderen Leser" begibt er sich auf die Suche nach dem Bücherwurm.
Zehn Kapitel lassen den Rezipienten des vorliegenden Buches dem Wesen des einzig wahren Bücherwurms nachspüren. Dies liegt in erster Linie an dem Umstand, dass man das kleine Getier nie entdeckt, aber seine verheerenden Verwüstungen nicht zu übersehen sind. Sie fressen sich durch mehrbändige Enzyklopädien, unterscheiden nicht zwischen wissenschaftlichem Lehrbuch oder kurzweiligem Roman und lassen sich selbst von Festeinbänden nicht abschrecken. Da ist es nicht verwunderlich, das sogar Autoren wie Walther von der Vogelweide und William Kirby dieses seltsame Wesen zum Thema in ihren Texten propagieren - auch wenn sie es nie mit eigenen Augen ersahen.
Letztendlich haben wir es Gotthold Ephraim Lessing zu verdanken, dass der Mensch fortan als "Bücherwurm" betitelt wird. In seinem Lustspiel "Der junge Gelehrte" (1747) verwendete der Dramatiker erstmals das Tier als Metapher für den unersättlichen Leser. Dies mag auch daran liegen, dass jene Menschen so genannt werden, weil sie sich die Bücher oft so nah vor das Gesicht halten, dass es aussieht, als ob sie diese aufessen würden. Auch Carl Spitzwegs Gemälde "Der Bücherwurm" (1850) trägt zum Eindruck des gefräßigen Lesers bei, das keineswegs als rein negativ ausgelegt werden muss. Dient es doch auch als liebevolle Kosebezeichnung, die außerordentlichen Buchliebhabern gegeben wird.
Hektor Haarkötter geht in "Der Bücherwurm" auf die Suche nach dem größten Feind des Buches. Trotz eines wissenschaftlichen Anspruches erscheint das vorliegende Buch wegen zahlreicher vergnüglicher Anekdoten, des hintersinnigen Witzes und des angeschlagenen nonchalanten Erzähltons wie ein kurzweiliges Erzählbändchen, dass wie im Vorbeiflug äußerst interessante Fakten rund um den kleinen Nagekäfer vermittelt. Im Vordergrund steht die Freude an ein recht ungewöhnliches Thema. Diesem Umstand verdankt der Leser auch die seltenen Illustrationen, die das Buch zu einem wertvollen Bändchen im heimischen Bücherregal erheben. Da bleibt nur zu hoffen, dass nicht auch hier der "wahre" Bücherwurm eines Tages zuschlägt, denn das wäre ein nur schwer zu verschmerzender Verlust.
Susann Fleischer
08.03.2010