Wissenschaften

Völkerrechtsdiskussion in den Anfängen der Globalisierung

Mit der Entdeckung und Kolonialisierung Amerikas durch die Spanier an der Wende zum 16. Jahrhundert, stellte sich schon bald die Frage nach der Rechtmäßigkeit der spanischen Conquista und der Legitimation zur Inbesitznahme der neuentdeckten Länder. In dieser Anfangsphase der Globalisierung konkurrierten die beiden iberischen Mächte Portugal und Spanien um die Vorherrschaft im kolonialen Wettlauf. Nach dem Vorbild Portugals erwirkten die spanischen Monarchen Fernando und Isabella 1493 gleich im Anschluss an die erste Fahrt des Kolumbus fünf Bullen von Papst Alexander VI., in denen er ihnen die volle, freie und absolute Gewalt, Autorität und Rechtssprechung über die neuen amerikanischen Besitzungen übertrug. Mit dieser päpstlichen "Schenkung" war ein Missionsauftrag verbunden, da die Oberhoheit der kastilischen Krone in Amerika an die Christianisierung der indigenen Bevölkerung geknüpft war.

Hiermit endete die Diskussion über die Rechtmäßigkeit der spanischen Conquista in Amerika aber keineswegs, sondern löste im Gegenteil einen mehrere Jahrzehnte währenden Disput unter spanischen Theologen und Juristen aus. An diesem Punkt setzt die Untersuchung von Josef Bordat an. In seiner Studie arbeitet er die unterschiedlichen Positionen der an der Diskussion beteiligten Gelehrten und Hofbeamten heraus und stellt die einzelnen Standpunkte ausführlich, dabei klar und allgemein verständlich dar. Nacheinander lässt er die Legitimationsfiguren der spanischen Conquista in Übersee Revue passieren und deren Kritiker zu Wort kommen, sodass die einzelnen Argumentationsstränge sich für die Leser einsichtig abzeichnen. Josef Bordat zeigt in seinem Buch auf, dass die Diskussion des frühen 16. Jahrhunderts heute nicht etwa nur für die historische Forschung von Interesse ist, sondern wegen ihrer Wirkung auf das moderne Völkerrecht durchaus noch relevante Aussagen zu den Problemen gegenwärtiger Globalisierungsprozesse bereithält.

In der Frage der Rechtmäßigkeit der spanischen Conquista in Amerika umreißt Josef Bordat drei unterschiedliche Positionen, die im Titel seines Buches unter den Begriffen "Annexion – Anbindung – Anerkennung" auf den Punkt gebracht sind. Den Reigen eröffnet der Hofchronist und Erzieher des Kronprinzen Philipp, Juan Ginés de Sepúlveda, den Josef Bordat der Gruppe der Kolonisten zurechnet. Im Interesse der Kolonisten lagen vor allem die Rechtfertigung der spanischen Conquista und die Legitimation der Herrschaft Spaniens über die indigenen Völker Amerikas. Sepúlveda befasste sich darüber hinaus intensiv mit der Frage des "gerechten Krieges" und führte Gründe an, die den Krieg gegen die amerikanischen Ureinwohner als legitim darstellten und die gewaltsame Eroberung rechtfertigten.

Die zweite Position repräsentiert Francisco de Vitoria, den Josef Bordat der sogenannten Staatsfraktion zurechnet, da Vitoria sich in seinen Schriften für eine Stärkung der Krone gegenüber dem Papst und den Kolonisten einsetzte. Vitoria war Dominikaner und maßgeblich an der Blüte der Schule von Salamanca beteiligt. Gegenüber der von Sepúlveda vertretenen Position der Kolonisten, sah Vitoria die spanische Eroberung in Amerika in bedeutend kritischerem Licht. Im Unterschied zu den Kolonisten, die eine Inferiorität der indigenen Kulturen als Legitimation der Conquista anführten, führte Francisco de Vitoria als Kriterium für die Rechtmäßigkeit der Inbesitznahme der amerikanischen Länder die Frage nach den vorkolonialen Herrschaftsverhältnissen an. Sofern ihre Titel rechtmäßig waren, durften die indigenen Herrscher nicht abgesetzt werden. Bordat betont auch die Modernität des Hauptarguments von Vitoria, das die im Naturrecht begründete Egalität aller Völker anführt. Die dritte Position wurde durch Bartolomé de las Casas vertreten, der in der Kritik an der spanischen Conquista noch weit über Francisco de Vitoria hinausging. Las Casas, ebenfalls ein Dominikaner, widmete fast sein gesamtes Leben dem Kampf für eine Verbesserung der Lebenssituation der indigenen Bevölkerung Amerikas. Er versuchte dieses Ziel durch eine Reihe theologisch-juristischer Abhandlungen, Eingaben und Briefe an den König zu erreichen. Wie Josef Bordat zeigt, überwand Las Casas in seinen Schriften und Projekten die Positionen der Legitimationsdebatte und entwarf ein Konzept, das auf das moderne Völkerrecht verweist.

Zu monieren sind nur einige Druckfehler und gelegentliche Ungenauigkeiten in Details. Insgesamt bietet Josef Bordats Darstellung aber einen sehr nützlichen Überblick und informiert kompetent und allgemein verständlich über dieses bedeutende Kapitel der Weltgeschichte.

Iris Gareis
02.06.2009

 
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Das Buch:

Josef Bordat: Annexion – Anbindung – Anerkennung. Globale Beziehungskulturen im frühen 16. Jahrhundert

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Hamburg: Tredition Verlag 2008
253 S., € 14,99
ISBN: 978-3-868-50293-0

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