Wissenschaften

Wahrheit , Freiheit , Vernunft. Markus von Hänsel-Hohenhausen begründet das Zusammenspiel von Denken und Glauben

Nachdem der promovierte katholische Theologe und Publizist Markus von Hänsel-Hohenhausen im vergangenen Jahr seine Gedanken zum Verhältnis von Denken und Glauben unter dem Pseudonym "Leopold von Emden" als Privatdruck veröffentlicht hat,1 liegt nun eine zweisprachige Neuauflage (englisch-deutsch) vor, die als gelungen bezeichnet werden kann. Nicht nur, dass sie in der äußeren Aufmachung gefällt – aus dem DIN A5-Heft ist ein handliches Schmuckstück in angenehmer Optik und Haptik geworden –, sondern auch inhaltlich bietet die Neuauflage einiges mehr: Zum einen das Vorwort Joachim Kardinal Meisners, Erzbischof von Köln, zum anderen zwei Farbtafeln, auf denen die Werke "Die Inspiration des Evangelisten Matthäus" und "Die Berufung" von Michelangelo Merisi da Caravaggio in Hochglanz abgedruckt sind: Der Autor zeigt Sinn für das schöne Detail.

Markus von Hänsel-Hohenhausen, der bisher durch seinen vielbeachteten Essay "Vom Antlitz in der Welt. Gedanken zur Identität im 21. Jahrhundert" (2005) auf sich aufmerksam gemacht hat, ist nicht der erste, der sich des Themas der vorgelegten Abhandlung annimmt. Mit Denken und Glauben werden Verhaltensweisen angesprochen, die der moderne Mensch als inkommensurabel erfährt und deren befruchtende Beziehung doch maßgeblich für sein Selbstverständnis ist.

Das kartesianische Cogito, auf das im Titel angespielt wird, war der Auftakt einer tiefen Spaltung menschlicher Kultur in Wissenschaft bzw. Philosophie und Religion bzw. Theologie, bei der (spätestens) seit Descartes ersterer das Primat der Weltdeutung zugeschrieben wird, während letztere fortan kaum mehr denn als Privatvergnügen (Religion) oder Universitätsmarginalie (Theologie) in Erscheinung treten sollte. Allenfalls für Ideenhistoriker bedeutsam scheint das Bemühen um den Kompatibilitätsnachweis von Denken und Glauben in Patristik und Scholastik: Der heilige Augustinus prägte in seinen Sermones die berühmte Formel Crede ut intelligas – intellige ut credas ("Glaube, um zu erkennen, erkenne, um zu glauben."), während es Thomas von Aquins Anliegen war, die beiden widerstreitenden Techniken der menschlichen Selbstvergewisserung in seinem Werk Summa theologica zur Deckung zu bringen: die christliche Religion und die Vernunft sollen sich nicht widersprechen. Und Goethes Diktum Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion scheint heute allenfalls poetisch-romantischer Kitt, der, über zwei Jahrhunderte Säkularisierung hart geworden, kräftig bröckelt.

Auch im Bereich der analytischen Texte ist die Konkurrenz groß, erwähnt sei nur Denken und Glauben (1965), die Dokumentation eines epochalen Streitgesprächs zwischen dem Theologen Gollwitzer und dem Philosophen Weischedel, an Kurt Hübners Glaube und Denken. Dimensionen der Wirklichkeit (2001) oder an die mittlerweile dokumentierte und kommentierte Auseinandersetzung über Religion und Vernunft im 21. Jahrhundert zwischen Habermas und Ratzinger (damals noch Kardinal) im Frühjahr 2005 in der Katholischen Akademie München.

Zudem widmen sich zahllose Institute der Verhältnisbestimmung von Denken und Glauben, in Marburg etwa das Institut für Glaube und Wissenschaft.

Nun also Markus von Hänsel-Hohenhausen. Gleich vorweg: Auch er kann die Sphären nicht zusammenfügen. Zumindest nicht so, dass er die Fraktion derer überzeugen könnte, die einzig zu denken glauben, die den (in ihren Augen) irrationalen und damit überflüssigen Glauben methodisch ablehnen, weil er über die Natur, der allein die Gedanken des Forschers gelten sollten, hinausweist. Sie werden von Hänsel-Hohenhausens provokante Neologismen Glaubenswissen und Beweiswissen als unsinnig ablehnen, da in ihren Augen nur letzteres überhaupt "Wissen" sein kann. Dieses gilt ihnen zugleich als jene "Wahrheit", die von Hänsel-Hohenhausen als Summe beider Wissensquellen definiert: "Das materialistische Beweiswissen wird erst durch das Glaubenswissen zur vollen Erkenntnis aufgerundet." (S. 277). Ob diese Einschätzung berechtigt ist, darf bezweifelt werden, denn der Autor zeigt an der theoretischen Mathematik, die inneren Widersprüche, die bereits in den Grundlagen der Naturwissenschaften aufweisbar sind, begibt sich also auch in den Grundlegungsdiskurs. Es stellt sich daher die Frage, wie die Naturwissenschaft mit Wissen umgeht, das sie sich zuschreibt, das aber gerade kein Beweiswissen, sondern letztlich auch nur Glaubenswissen ist. Dennoch verlangt diese Einsicht und noch viel mehr die daraus abzuleitende Schlussfolgerung einer Zustimmung zu größerer methodologischer Offenheit ein Maß an Selbstreflexion auf die eigenen wackeligen Anfangsgründe, dass in den Naturwissenschaften nicht zu sehen ist.

Der Autor macht für den Fortgang seiner Begründung dieses weitere Wahrheitsverständnis, mit dem er die Naturwissenschaft konfrontiert (gemessen an ihrem Selbstverständnis im vorherrschenden naturalistischen Paradigma), bereits zur Voraussetzung und nimmt damit, aus der Perspektive des Naturalismus, eine Applikation seiner These in der Methode seiner Argumentation vor, insoweit, als er überhaupt metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften in Betracht zieht.2  Während die "Nur-Denkenden" einen vermeintlichen "Zirkel" erkennen und die damit schon methodisch (in ihrem engen Verständnis von Wissen) "unwissenschaftliche" Schrift ablehnen werden (und mit dieser Haltung gleichsam zu verstehen geben, dass sie an einer Grundlegung der Naturwissenschaft kein wirkliches Interesse haben), werden die "Auch-Glaubenden" antizipierte Perspektivöffnung, die die "Metaphysik als Fundament" ermöglicht, mitmachen und sich auf eine Reise begeben, die nicht auf dem engen wissenschaftlichen Pfad, sondern einem breiten Weg zur Wahrheit führt.

Kommen wir zum Inhalt. Was sagt von Hänsel-Hohenhausen? Hier kommt die erste Überraschung schon beim Durchblättern: Das Buch bietet eine Fülle fachwissenschaftlicher Einlassungen, die ich – zugegeben – im Einzelnen gar nicht nachvollziehen kann. Mathematische Formeln und physikalische Beschreibungen setzen hier ein bestimmtes Wissen voraus, das die gute Allgemeinbildung überragt. Dennoch lohnt sich die Lektüre, denn in den Folgerungen schreibt von Hänsel-Hohenhausen verständlich (und dass in den angebotenen Formeln und Beschreibungen keine groben Fehler sind, sei hier einmal vorausgesetzt).

Nach einer Klärung der Fragestellung und der Terminologie (Kapitel 1), breitet er im zweiten Kapitel ("Vom Glauben als Fundament und Gunst der Wissenschaft") seine Kernthese aus, also die These der "Auch-Glaubenden" von der "zu glaubenden Voraussetzung" der Wissenschaft und davon, dass Wissenschaft "selbst ein Glaube" sei (S. 89). Es geht also um die Metaphysik, welche die "Nur-Denkenden" ignorieren. Sie würden dann die vom Autor angeführten Beispiele für die "Unerklärbarkeit" (S. 93), die "Unvorstellbarkeit" (S. 93f.) und die "Nichtdarstellbarkeit des Faktischen" (S. 95) wahrscheinlich als Scheinprobleme bezeichnen, aber dennoch verblüffen die wissenschaftlich unfassbaren Harmonien, die sich in den angeführten mathematischen Beispielen zeigen. Lässt sich unser Staunen angesichts solcher Erscheinungen, die, so von Hänsel-Hohenhausen, "in einer stillen, metaphysischen Harmonie zueinander befangen sind" (S. 89) nicht doch irgendwie auflösen? Hat man es denn schon versucht? Woran ist man gescheitert? Die Entdeckungen, etwa das Auftreten des goldenen Schnitts in der Natur (S. 97f.) sind zu großartig, als dass sie hier erstmals vorgestellt würden. Leider bleibt hier eine intensivere Auseinandersetzung mit Gegenpositionen und der Nennung von Querverweisen zur eigenständigen Überprüfung aus.

Statt dessen geht es – Kapitel 3 – mit der Logik weiter. Die unterhaltsame Auflistung von Antinomien und Paradoxien soll den Zweifel an der Unfehlbarkeit der Wissenschaft nähren, bedient sich diese doch logischer (Analogie-)Schlüsse. Auf diese Weise das Vertrauen in die Wissenschaft erschüttern zu wollen, ist jedoch in zweierlei Hinsicht unlauter: 1. ist nicht jede Folgerung falsch, nur weil es Grenzen logischer Betrachtungen gibt, 2. nimmt gerade der Wissenschaftler Unfehlbarkeit für sich selbst nicht in Anspruch, im Gegenteil: Fallibilität ist das entscheidende Kriterium einer Theorie, die für sich in Anspruch nimmt, wissenschaftlich zu sein. Sie wird in den Diskurs eingebracht und wenn sich in diesem ein Fehler herausstellt, wird der ehrliche Wissenschaftler den fehlerhaften Teil seiner Behauptung zurücknehmen oder die Theorie wird verworfen, etwa weil eine Annahme benutzt wurde, die zum Beweisantritt nötig ist, deren Aussagegehalt aber zugleich Gegenstand des Beweises ist, wenn also schon vorausgesetzt wird, was erst bewiesen werden soll (Zirkel) oder weil Aussagen (A) verwendet werden, die etwas über sich selbst aussagen (verschachtelte Selbstzitate, Selbstbezüge), die dann zu unentscheidbaren Situationen führen, in denen A und nonA zugleich "wahr" und "falsch" werden können ("Kreter-Paradox", "Krokodilschluß", S. 143) oder weil eine fehlerhafte Formalisierung zu einem regressus in infinitum (S. 147f.) führt etc.

Ein wirkliches Problem identifiziert von Hänsel-Hohenhausen jedoch in der Tendenz der Wissenschaften zur Zweidimensionalität des Denkens, welches durch die zweiwertige Logik (tertium non datur) befördert wird. Das Ideal der 1/0-"Denk"struktur des Computers wird dem Real der Welt aber nicht gerecht: "[D]ie Funktionalisierung des Denkens entfaltet ihre Zerstörungskraft dort, wo die Wirklichkeit in einem unauflöslichen Beziehungsgeschehen Sinntiefe birgt, also beispielsweise in Politik und Gesellschaft: Deren bewegenste Fragen lassen sich an Schlagwort-Gegensatzpaaren festmachen, die die Wirklichkeit ersichtlich einseitig auf Funktionen reduzieren, also die Geschlechterproblematik (herrschende Männer/unterdrückte Frauen), der Kinderreichtum (den sich Besserverdienende leisten/wirtschaftlich Schwächere nicht leisten können), die Gesundheitspolitik (Klassenmedizin/Versorgungsgerechtigkeit) usw. Und gerade die jüngere Geschichte ist von der Zerstörungskraft der Binarität des Denkens, von der Lebensfeindlichkeit der Aufspaltung in Gegensätze auf schreckliche Weise geprägt. Millionen Menschen haben ihr Leben verloren, weil das materialistische Prinzip, durch die Romantik wirksam ästhetisiert und zur Religion erhoben, schließlich zur politischen Ideologie wurde (arisch/nichtarisch). Die durch Reduktion vollzogene Wegnahme von Wirklichkeit, in der Welt der Digitalität zum System erstarrt, zeigt also auch die Gefahr der Analyse, in Reduktion die Wahrheit zu verfehlen und Wirklichkeit zu vernichten." (S. 139, Hervorhebung im Original).

Hier müsste im Interesse der Wissenschaft freilich zwischen wissenschaftlicher Forschung und dem öffentlichen Gebrauch ihrer Ergebnisse unterschieden werden. Doch eines ist nicht zu leugnen: Gerade die Sozialwissenschaften sind darauf angewiesen, dass ihre Studien einer einfachen Auswertung wegen möglichst computergerecht geschneidert sind. Komplexeste Sachverhalte wie politische Präferenzen, Weltanschauung, Religiosität etc. wird im Binärsystem abgefragt. Was nicht ins "Ja-nein-weiß nicht"-Schema passt, wird ignoriert. Was nicht schlimm ist. Wohl aber schlimm ist, dass man diesen Studien dann eine monopolistische Fähigkeit zur Wirklichkeitserklärung beimisst – und dies geschieht eben nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern schon von der Wissenschaft selbst, deren stereotype Warnhinweise, die Ergebnisse doch bitte mit Sorgfalt zu verwenden, oft wie eine rhetorische Pflichtübung erscheinen. Jeder Zweifler soll von der Magie der harten Fakten verzaubert werden und wer immer noch zweifelt bekommt – von "der" Wissenschaft, nicht von der Öffentlichkeit! – das Prädikat "unwissenschaftlich". Dieses "Spiel" hat von Hänsel-Hohenhausen gut durchschaut, es auf die Logik mit ihrer binären Struktur zurückzuführen, ist ein interessanter Gedanke.

Sodann widmet er sich dem Anfang des Denkens (Kapitel 4). Mit der Wissenschaft verhält es sich nach von Hänsel-Hohenhausen dabei wie es sich nach Böckenförde mit dem Verfassungsstaat verhält: Es handelt sich um Systeme, die sich nicht aus sich selbst begründen lassen. Sie setzen irgendwo auf, schließen irgendwo an, haben irgendwo Ursprung und Grund. Dieses "irgendwo" liegt jenseits des Systems. Man braucht mithin die Metaphysik und damit den Glauben. Von Hänsel-Hohenhausen begründet, warum er es für falsch hält, bei der Natur von einem "geschlossenen System" zu sprechen, mit der Unabgeschlossenheit ihrer Gesetze (S. 177); die gesuchte "Weltformel" werde aufgrund der "Komplexität der Welt" niemals gefunden werden können (ebd.). Als Beispiel dient ihm die Evolutionstheorie (insbesondere von ihren naturalistischen Befürwortern gern zur "Tatsache" aufgewertet), die Schlüsselfragen nach der Entstehung von Lebensformen und Eigenschaften offen lasse, da ihre treibenden Kräfte, Selektion und Mutation, vielleicht für deren Entwicklung, nicht aber für deren Entstehung bürgen könnten: "So bleibt auch die Frage des verbindenden Glieds (missing link) zwischen Mensch und Tier, das notwendigerweise auch die Frage von Geistbeseelung und Selbstbewusstsein aufwirft, auch weiterhin offen." (S. 185, Hervorhebung im Original). Grenzen der Wirklichkeitsdeutung durch wissenschaftliche Aussagen ("Denken") werden offenbar, Möglichkeiten für religiöse Vorstellungen ("Glauben") eröffnen sich: "Insofern die Theorie der Evolution, die heute unbezweifelt mit großer Erklärungskraft unseren biohistorischen Horizont erleuchtet" – von Hänsel-Hohenhausen ist also kein Kreationist – "auch die seelischgeistigen und sozial-ethischen Anlagen auf die biologische Entwicklung zurückführt" – wie es die von Naturalisten oft vertretene "evolutionäre Ethik" unterstellt – "entstehen allerdings berechtigte Fragen." (S. 185) Allerdings!

Den Grenzen der Wissenschaft widmet von Hänsel-Hohenhausen das folgende Kapitel, um noch einmal insbesondere auf die Evolutionstheorie einzugehen. Weiterhin wird (mit Heisenberg) darauf verwiesen, dass eine "Objektivierung" wissenschaftlicher Aussagen über empirische Erkenntnisse nicht erfolgen kann, da es unmöglich ist, das Subjekt des Erkennens aus dem Erkenntnisprozess herauszuhalten (S. 229; dazu ist zu sagen, dass auch Wissenschaftler die "intersubjektive Gültigkeit" als non plus ultra der wissenschaftlichen Forschung ansehen; der Begriff Objektivität existiert nicht, insoweit damit eine Ebene oberhalb des von allen gleichermaßen Erkannten, doch nichtsdestotrotz jeweils nur subjektiv Erkennbaren, gemeint ist). Gefordert ist, so von Hänsel-Hohenhausen, ein sokratisches Wissen um das Nichtwissen, eine Weisheit, die demütig die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit akzeptiert, eine docta ignorantia (S. 215, Cusanus), die sich bewusst ist, dass "alles durchwebt [ist] von Vermutung" (ebd., Xenophanes), dass "unsere ganze Wissenschaft, gemessen an der Wirklichkeit, [..] primitiv und kindlich [ist]" (S. 213, Einstein) und dass sich die (Natur-)Wissenschaft in einer verzwickten Lage befinden: "Für fast jede neue Erkenntnis müssen früher wichtige Fragestellungen und Begriffsbildungen aufgeopfert werden. Mit der Mehrung der Kenntnisse und Erkenntnisse werden so in gewisser Weise die Ansprüche der Naturforscher auf ein, Verständnis’ der Welt immer geringer." (S. 211, Heisenberg).

Hochinteressant sind die nachfolgend angeführten Vermittlungspositionen, erste zarte Erträge eines "notwendigen Diskurses" von einerseits "theologischer Anthropologie" und andererseits "metaphysisch orientierten Naturwissenschaftlern" (S. 231ff.). Von Hänsel-Hohenhausen zitiert die evangelischen Theologen Pannenberg (S. 233) und Zink (S. 233f.) mit naturalisierten Gottesbildern ("Atem", "Wind", "Luft") sowie den Biochemiker de Duve (S. 231) und den Physiker Dürr mit Transzendenzerklärungen für disziplinspezifische Probleme.

Im sechsten Kapitel ("Von der geistigen Imprägnanz der Welt") widmet sich von Hänsel-Hohenhausen der Wesensschau, denn: "Im Wesen offenbart sich der Geist, der der naturwissenschaftlichen Betrachtung intuitiv zufällt und der das Denken über das bloße Rechnen mit Gewißheiten hinaushebt.“ (S. 241) Spätestens nach dieser essentialistisch-spiritualistischen Kampfansage wird sich der reistisch-naturalistische Leser wohl verabschieden. Und auch ich habe meine Schwierigkeiten. Nicht, dass ich seine Glaubenssätze nicht nachvollziehen könnte, aber sie als Denksätze zu präsentieren, halte ich für gewagt – womit wir wieder beim Ausgangs- und Kernproblem der Vereinbarkeit der unterschiedlichen Methoden Denken ("Rechnen mit Gewissheiten") und Glauben ("Wesensschau") mit dem einen Wahrheitsbegriff wären, immer mit von Hänsel-Hohenhausen unterstellt, es gäbe jenseits der bloß subjektiven Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten diese eine objektive Wahrheit (als Rückverankerung der subjektiv erfahrenen – und freilich nur so erfahrbaren – Welt "in der Objektivität selbst", S. 249). Was Kapitel sechs also bietet, kann als Versuch einer Synthese von Denken und Glauben angesehen werden, mit dem Primat des Glaubens. Eine Schnittmenge scheint sich, so von Hänsel-Hohenhausen, im Begriff der "Intuition" zu ergeben, einer "besondere[n] Quelle der Erkenntnis" (S. 257), einer Methode, die beides verlangt: passives Aufnehmen der Objektivität (Glauben) und aktives Umformen des Aufgenommenen in subjektiver Geistestätigkeit (Denken). So kommt von Hänsel-Hohenhausen zu dem Schluss, dass "Intuition [..] ein Wissen [erzeugt], das nicht nur mühsam erworbene wissenschaftliche Grade überflügeln kann", sondern auch "ein wichtiger Faktor im gesellschaftlichen Leben überhaupt" ist (S. 267). Die metaphysisch-religiöse Dimension der Intuition als "Rückgriff in das geistige Ganze, von dessen gleißendem Licht wir eine kleine Flamme in uns tragen" (S. 269) ist insbesondere in der Kunst unverzichtbar (so sage Goethe, die Menschen seien "nur so lange produktiv, als sie religiös sind", S. 271), aber auch "in den schmalen Horizont wissenschaftlichen Verstehens wirft der universale Geist von Zeit zu Zeit seinen Strahl" (S. 271). Hier tritt übrigens ein Problem auf, dass im Anschluss an Dilthey zu betrachten wäre, hier aber nicht weiter behandelt wird, nämlich die Differenz zwischen geisteswissenschaftlichem Verstehens- und naturwissenschaftlichem Erklärungsanspruch, abhängig von der je eigenen Methodik, der Hermeneutik und der Empirie.

Schließlich – Kapitel 7 – geht es im Fazit um "zustimmende[s] Denken" und die "Freiheit der Person" (S. 277). Hier wird vor dem Hintergrund des Intuitionskonzepts der Unterschied zwischen Denken und Glauben endgültig aufgehoben: "Wissen und Glauben [sind] eins: Es weiß mehr, wer glaubt, und wer weiß, der glaubt." (S. 277). Denn: Nicht nur "die Erfahrung des Undurchdringlichen verbindet Wissenschaft und Glauben, sondern auch die Vernünftigkeit" (S. 279). So gehöre es "von Anfang an zum Selbstverständnis der christlichen Religion, vernünftig zu sein" (ebd.). Jenseits seines Bekenntnisses spricht von Hänsel-Hohenhausen hier ein hochbrisantes Thema an, das auf einer anderen Ebene den Diskurs um Denken und Glauben prägt: die besondere Kennzeichnung des "aufgeklärten Christentums" als "Vernunftreligion" (etwa in Abgrenzung zum Islam als Religion mit "vormodernen Vorstellungen" von Gesellschaft als Ergebnis "überkommener Werte" eines "Willkürgottes").

Am Ende der Betrachtung gipfelt von Hänsel-Hohenhausens Verständnis der Einheit von Denken und Glauben im Begriff der Freiheit: Nur mit der ganzen Komplexität von Wahrheit als Summe von Beweiswissen und Glaubenswissen, d.h. nur in der Offenheit zur Transzendenz, erlangt der Mensch – durch das "grauenhafte Menschenbild der säkularisierten Moderne" (S. 289) stets von Herabsetzung bedroht – sein Personsein, und die Freiheit des Menschen wird zur Freiheit der Person, zur Freiheit, "die das Subjekt unverfügbar macht und dazu befähigt, sich zu verschenken" (ebd.). Diese Freiheit ist nicht nur Resultat, sondern zugleich auch Konstitut des Glaubens ("Aus der Freiheit des Einzelnen, die außer der Materie auch den Geist sucht, erwächst ein Glauben, der keinen logischen Gottesbeweis mehr nötig hat. Denn Glauben ist keine Technik des Geistes, sondern seine Wirkung", ebd.). Eine runde Sache also, die in ein gewichtiges Schlusswort mündet: "Wir müssen fortschreiten vom Ich denke, also bin ich über das materialistische Ich denke, folglich ist die Welt, wie sie ist zum das Leben wieder verantwortenden Ich denke, also glaube ich. Die unheilvolle Selbstermächtigung des Subjekts und die Illusion seiner Herrschaft sind religiöse Vorstellungen der Gegenwart, die von der Erkenntnis abgelöst werden müssen, daß Humanität und Sinn nicht durch Herrschaft, sondern durch Dienst entstehen. Die naturwissenschaftliche Wahrnehmung des Ganzen der Welt, das Innewerden des Geistigen und der Geistprägung der Welt fordern ein Denken, das zustimmen kann – eine Zustimmung, die auf Vernunft und Intellekt beruht. Entdeckt die westliche Gesellschaft, deren Kultur und Identität verfallen, Glauben und Religion wieder als Quellen der Erkenntnis, die den Abstand des Beweiswissens der Wissenschaften zur vollen Wirklichkeit auflösen, dann kann die einzelne Person – und durch sie die Gesellschaft – wieder die Tiefe des Menschseins erfahren, das von Liebe und Freiheit zeugen will und das sich nicht verwirklicht, wenn es herrscht, sondern wenn es sich an andere verschenken kann. Die kulturelle Kraft der Gesellschaft wird wieder wachsen, und das Individuum wird seinen Sinn finden und sein Leben zu wahrer Erfüllung bringen können." (S. 293).

Am Anfang und am Ende menschlicher Erkenntnis berühren sich Glauben und Denken. Das zeigt uns von Hänsel-Hohenhausen deutlich, das wussten wir aber schon aus anderen Betrachtungen, insbesondere aus der metaphysisch orientierten Wissenschaftstheorie christlicher Provenienz, jedoch auch vom allgemein anerkannten Wissenschaftsphilosophen Wolfgang Stegmüller: "Man muß nicht das Wissen beseitigen, um dem Glauben Platz zu machen. Vielmehr muß man bereits etwas glauben, um von Wissen und Wissenschaft reden zu können." Den Unterschied macht die Anerkenntnis oder die Ignoranz dieser Tatsache. Es ist wichtig, das Bewusstsein für eben diese Tatsache wach zu halten; Markus von Hänsel-Hohenhausen leistet dazu einen Beitrag.

Deshalb hat sein Buch ein breites Publikum verdient, auch wenn es geradezu in stereotyper Weise polarisiert: Ablehnung – schon aus den erwähnten methodologischen Gründen, hinzu kommt noch die essayistische Form – dürfte ihm aus der (natur)wissenschaftlichen Community sicher sein (wenn es bis dahin überhaupt vordringt)3. Anhänger wird es aber in Kreisen finden, die dem radikalen Naturalismus skeptisch und einer etwas weniger formalisierten Methode des Erkenntnisgewinns wohlwollend gegenüber stehen. Denn von Hänsel-Hohenhausens Arbeit liefert interessante Einsichten, die – und das ist ja ein wichtiges Kriterium für Wissenschaftlichkeit – durchaus zu intersubjektiv vermittelbaren Erkenntnissen werden können, wenn man diese Einsichten nur an sich heranlässt. Kardinal Meisner ließ sie an sich heran und kommt nach der Lektüre zu dem Schluss, dass der Essay "die Synthese von Natur- und Geisteswissenschaft" andeute, die unsere Zeit so dringend benötige. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dr. Josef Bordat
3.11.2008

Angaben zum Rezensenten
Josef Bordat, Dr. phil., Dipl.-Ing., M.A., Publizist in Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Ethik, Rechtsphilosophie, Wis-senschaftstheorie (insbes.: Verhältnis von Religion und Wissenschaft).

Anmerkungen:

(1) Eine Rezension zu dieser Ausgabe ist im Marburger Forum erschienen (Heft 1, Jahrgang 2008).
(2) Es ist sicherlich richtig, dass – wie der Autor mir gegenüber zu verstehen gab – sich das erweiterte Wahrheitsverständnis erst durch die Analyse der Anfangsgründe der Naturwissenschaften in der theoretischen Mathematik ergibt, doch darum geht es m. M. n. gar nicht. Es geht vielmehr im Wesentlichen um den methodologischen und wissenschaftstheoretischen Wert der "Dreistigkeit", überhaupt die Grundlegungsfrage zu stellen und damit eben doch schon implizit anzunehmen, es könnte noch etwas anderes jenseits des "Beweiswissens" liegen, das den Grund für dieses bildet, damit aber zugleich den Begriff "Beweiswissen" in seiner eitlen Strenge ad absurdum führt. Vor der Entwicklung des erweiterten Wahrheitsverständnisses liegt das Interesse des Autors, dieses zu entfalten und zur Geltung zu bringen und dabei metaphysisch zu argumentieren. Wer heute dieses Interesse hat, kommt nicht weit, weil er Annahmen macht, die dem naturwissenschaftlichen Hauptstrom schlicht als "falsch" erscheinen, gerade weil sie damit "drohen", den Boden dessen zu verlassen, was die naturalistische Wissenschaftstheorie für "wissenschaftlich" hält.
(3) Tatsächlich besteht die Gefahr, dass der wichtige Text von seinen potentiellen Kritikern nicht mit dem ihm gebührenden Ernst aufgenommen wird. Gerade in naturwissenschaftlichen Kreisen und in denen der naturalistischen Wissenschaftsphiloso-phie, die meinen, sich die Methoden der Naturwissenschaften zu eigen machen zu müssen, wird wissenschaftliche Bedeutung auch und gerade an formalen Aspekten festgemacht. Die Fragen, ob exakt zitiert wird, ob jede Behauptung sich auf empirisch zugängliche Quellen stützt und – sehr wichtig! – ob der Text in einem wissenschaftlichen Umfeld erschien (Fachbuchreihe, Fachzeitschrift) stehen oft höher als die Frage nach dem Inhalt. Dem freien Essay droht daher die Nichtberücksichtigung. Er unterliegt prima facie dem Spekulationsverdacht. Im vorliegen-den Fall wäre eine solche Ignoranz sehr bedauerlich.

www.haensel-hohenhausen.info

 
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Das Buch:

Markus von Hänsel-Hohenhausen: Ich denke, also glaube ich. Cogito ergo credo. Von Metaphysik und Glaubenswissen als Fundament und Gunst von Naturwissenschaft und westlicher Gesellschaft. Mit einem Vorwort von Joachim Kardinal Meisner. Zweisprachige Ausgabe: I think, therefore I believe. Cogito ergo credo. Metaphysics and religious knowledge as a fundament and beneficial force within natural science and western society. With a foreword by Joachim Kardinal Meisner. Translated by Lucinda Bowles.

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsgruppe 2008
307 S., € 18,00
ISBN 978-3-8267-0015-6
London: Lord Byrons Literary Press 2008
307 S., 13.20 Britische Pfund
ISBN 978-1-84698-993-3

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