Wissenschaften

Ich wollte ein bisschen von der Welt sehen

Entsetzen schüttelt den Afrikaforscher Samuel Baker: Damen der feinen Gesellschaft, die alleine reisen? Ohne männlichen Schutz? »Eine junge Dame allein mit dem Dinkastamm – sie müssen wirklich irre sein. All diese Eingeborenen sind so nackt wie am Tag ihrer Geburt.« Wie unschicklich! Und doch so ungeheuer reizvoll. Nicht nur Alexine Tinné (1835–1869), um deren Moral hier gebangt wird, als sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Tante 1861 auf die Suche nach den Quellen des Nils aufmacht, von jeher stellten sich Dutzende von Frauen allen Hindernissen des Reisens mutig in den Weg. Die meisten von ihnen brachen zu einer akzeptierten Pilgerreise auf. Dennoch schlüpften sie, um sich zu schützen, dabei oft genug – größtenteils unbemerkt – in Männerkleidung und -rolle.

Natürlich finden heutige Leserinnen und Leser Gefallen an diesen »weiblichen Odysseen«, zumal wenn sie mit dekorativen Abbildungen so sinnenfreundlich unterstrichen werden. Schon das Cover zieht den (weiblichen) Blick magisch an: Vor einer weiten Landschaft mit Felsen und Wasserfall steht auf einem Felsvorsprung eine Frau; langer Rock und hochgeschlossene Bluse datieren das Foto gut 100 Jahre zurück, in eine Zeit, in der die Frauen eher an duftigen Damasttaschentüchlein stickten oder für eine Horde Kinder sorgten bzw. in Küche, Haus und Garten, der Fabrik oder »in Stellung« schufteten.

Polk und Tiegreen eröffnen mit ihrem Buch, das mit seinen Interesse weckenden Bildern und Texten so schön zum Schmökern einlädt, einen Blick in eine andere Welt: Sie berichten von der Entdeckerin Alexandra David-Néel (1868–1969), die davon träumte, »über das Gartentor hinauszugehen ... und ins Ungewisse aufzubrechen«, von Catalina de Erauso (1585–1650), welche sich, um nicht ins Kloster zu müssen, als Soldat und Bergarbeiter durchschlug, schließlich sogar eine Pension der spanischen Armee erhielt und ihr ungewöhnliches Leben damit begründete, dass sie »einfach reisen und ein bisschen von der Welt sehen wollte«, oder von der chinesischen Dichterin, der Dame Wen-Chi (geb. um 178 n. Chr.), die unfreiwillig in die Mongolei verschleppt wurde – alles Frauen, die mit Mut und Kraft Tropenkrankheiten ebenso wie arktischer Kälte oder den einsamen Stunden in Busch, Steppe oder Wüste trotzten. Sie haben mit ihren Aufzeichnungen und Forschungsberichten, Zeichnungen, Kartographien und Fotografien zu dem vorliegenden Bildband inspiriert.

Doch scheint der Text in seinem schwärmerischen Stil hauptsächlich gerade an jene weibliche Leserschaft gerichtet zu sein, deren Enge und Belächelt-Werden die Heldinnen – so kann man die beschriebenen Frauen durchaus nennen – entfliehen wollten: nämlich an feinsinnige, nichtsdestotrotz halbgebildete Frauen, die sich wohlwollend, aber distanziert die tollen Abenteuer ihrer exzentrischen Geschlechtsgenossinnen erzählen lassen. So wird zwar immerzu betont, was die Frauen erforschen, sammeln oder zeichnen wollten, doch ihre Leistungen und Erfolge werden zumeist gerade mal durch ein hübsch am Rande platziertes Buch veranschaulicht, es sei denn, es handelt sich um das künstlerische Talent einer Maria Sybilla Merian (1647–1717), der Botanik-Malerin, deren Insekten und Getier sich natürlich ebenso zur Veranschaulichung eignet wie die Berggorillas von Dian Fossey (1932–1985) – oder die schaurig-schönen Unterwasserbilder von der Ichthyologin Eugenie Clark (geb. 1922), der »Haifisch-Lady« (O-Ton!).

Es bleibt der Wunsch, dass die Werke der reisenden und forschenden Frauen im Buchhandel verstärkt nachgefragt werden, dass Interesse geweckt und die Leistungen, die ohne Zweifel nicht nur in der Tatsache weiblichen Reisens zu suchen sind, gewürdigt werden.

dgk
05.03.2001

 
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Das Buch:

Milbry Polk, Mary Tiegreen: Frauen erkunden die Welt

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München: Frederking & Thaler 2001
256 S.
ISBN: 3-89405-520-0

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