Wissenschaften

Der "Übervater" meldet sich zurück

Der "radikalste Einschnitt in der Währungslandschaft seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods, vielleicht sogar seit 1944", so bezeichnet der US-amerikanische Ökonom Barry Eichengreen das, was in Europa vor 10 Jahren geschah: Am 1. Juni 1998, wurde auf Grundlage des Vertrags zur Gründung der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank die Europäische Zentralbank (EZB) geschaffen. Sieben Monate später folgte mit Beginn der dritten Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die Einführung des Euro in elf Staaten, zunächst als gesetzliche Buchungswährung.

Grund genug für Otmar Issing, ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank und zwischen 1998 und 2006 Mitglied des Direktoriums der EZB, ein Buch über den Euro und die EZB zu veröffentlichen.

Gemeinsame Währung und gemeinsame Geldpolitik

Issing beschreibt in seinem Buch zunächst die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die zur Einführung des Euro und zur Gründung der EZB führten. Danach geht er auf den institutionellen Aufbau der Zentralbank sowie ihren Aufgaben- und Arbeitsbereich ein und schildert die Rolle von EZB und Geldpolitik im Gefüge der europäischen Währungsunion. Der Schwerpunkt liegt dabei deutlich auf der Geldpolitik der EZB. Ausführlich erläutert Issing die Grundlagen und Instrumentarien der Geldpolitik, wie Offenmarktgeschäfte und Mindestreserven, spricht aber auch Themen wie die Öffentlichkeitsarbeit und ihren Einfluss auf die Geldpolitik an. Zudem widmet er sich den geldpolitischen Entscheidungsprozessen innerhalb der Zentralbank. Besonderes Augenmerk richtet Issing dabei auf die geldpolitische Zweisäulenstrategie der EZB, die die Preisstabilität innerhalb der Eurozone gewährleisten soll.

Zuletzt wagt der Autor einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der europäischen Währungsunion innerhalb der politischen Union. Dabei geht er auf die seiner Meinung nach bestehenden Gefahren für den Euro durch mögliche Entwicklungen innerhalb der EU – die Entwicklung der EU in Richtung einer "sozialen Union", aber auch die mögliche Missachtung des Euro-Stabilitätspaktes – ein.

Rechtfertigung und Mahnung

Zum einen geht es Issing natürlich darum, ausführlich über den Euro und die EZB mit ihrer Geldpolitik zu berichten. Zum anderen verfolgt er aber auch eine tiefergehende Intention mit seinem Werk. Es stellt auch – neben der Darstellung des Euro und der EZB – eine Rechtfertigung von Issings eigener Amtszeit als Direktoriumsmitglied dar und kann als Mahnung an die derzeitige und zukünftige EZB-Geldpolitik interpretiert werden.

Nicht umsonst liegt der Schwerpunkt seines Buches auf der Geldpolitik und der damit verbundenen Strategie. Denn Issing, dem zwei der wichtigsten Fachbereiche innerhalb der EZB unterstanden, gilt als Vater genau dieser Strategie. Wie kein anderer prägte er mit seiner Geldpolitik und dem damit verbundenen Ziel der inneren Stabilität des Euro das Bild der EZB in der Öffentlichkeit. Es war maßgeblich ihm zuzuschreiben, dass der Euro zu einer harten Währung, vergleichbar mit der DM, wurde. Zudem hatte er großen Einfluss auf die interne und externe Kommunikation der Zentralbank. Nicht ohne Grund wird er in den Medien als "Mr. Euro" (Focus) oder "Übervater" der EZB (ZEIT) bezeichnet.

Nach Issings Ausscheiden aus dem Direktorium der EZB meinte ein EZB-Insider bezogen auf den Einfluss des ehemaligen Direktoriumsmitgliedes auf die Zentralbankpolitik: "Es wird niemand mehr so mächtig werden, wie er es war." Doch trotz dieser Machtfülle begann sich die EZB bereits während Issings Amtszeit langsam von der von ihm so verfochtenen Stabilitätspolitik zu emanzipieren. Stattdessen rückten Wachstum und Arbeitsmarktentwicklung verstärkt in den Fokus der Politik.

Einblick in die Arbeits- und Gedankenwelt eines Direktoriummitglieds

Issings Werk stellt einen äußerst interessanten Einblick in die ehemalige Arbeits- und Gedankenwelt eines der wichtigsten Direktoriumsmitglieder, ihm selbst, dar. Wer aus erster Hand Informationen über den Autor und seine Einstellungen und Vorstellungen bezüglich der Geldpolitik im Rahmen der ersten Jahre der EZB erfahren möchte, ist mit dem Buch „Der Euro“ gut beraten.

Ebenso bietet Issings Buch einen soliden Überblick über die Geschichte des Euro und der EZB mit ihrer Geldpolitik bis 1998. Wer sich allerdings intime Einblicke in die Mechanismen der Bank erhofft, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der neue Erkenntnisse über den Euro und die EZB erwartet. Dieses liefert das ehemalige Direktoriumsmitglied mit seinem Werk nicht.

Issings Buch ist leicht verständlich geschrieben und wird immer wieder durch kleine Anekdoten und persönliche Erlebnisse des Autors aufgelockert. Issing schafft es, auch schwierige Zusammenhänge gut zu erklären. So richtet sich das Buch (auch) an ein Lesepublikum, dass von Geldpolitik bisher wenig Ahnung hat. Zudem bietet der Autor zahlreiche weiterführende Literaturhinweise für alle, die sich vertieft mit der behandelten Materie auseinandersetzen möchten. Insgesamt gesehen ist Issings Werk ein guter Einstieg in den Themenbereich Euro und EZB, wobei die tiefergehende Intention Issings nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Robert Korntheuer
11.08.2008

 
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Das Buch:

Otmar Issing: Der Euro. Geburt – Erfolg – Zukunft

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München: Verlag Franz Vahlen 2008
220 S., € 34,00
ISBN: 978-3-8006-3496-5

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