Wissenschaften
Mehrwert durch Unmöglichkeit
Definition, Satz, Beweis. Dieser Dreiklang der Mathematik dürfte noch vielen aus dem Mathematik-Unterricht in den Ohren klingen, wenn mit logischer Stringenz nach der Einführung von Begrifflichkeiten auf Basis bestimmter Eigenschaften neue Eigenschaften abgeleitet und schließlich präzise nachgewiesen wurden. So nehme man beispielsweise das gegebene rechtwinklige Dreieck mit den beiden aus dem Griechischen stammenden Begriffen Hypotenuse und Kathete, lasse den Satz des Pythagoras als Behauptung vom Himmel fallen und beweise sie anschließend mit Hilfe bekannter geometrischer Zusammenhänge. Offensichtlich ist die gesamte Schulmathematik derart aufgebaut: Einige wenige mathematische Objekte werden mit äußerst präziser Begrifflichkeit eingeführt und alles weitere ergibt sich mit viel Schülerschmerz beinahe von selbst.
Doch scheinbar lassen sich heutzutage Mathematiker auch dafür abfeiern, dass sie beweisen können, dass Gleichungen nicht lösbar sind oder dass Probleme nicht entscheidbar sind. Ein prominentes Beispiel jüngeren Datums ist der Fermatsche Satz, der besagt, dass der Satz des Pythagoras keine größeren Brüder hat, also dass die Gleichung a2 + b2 = c2 mit höheren Potenzen als 2 versehen niemals ganzzahlige Lösungen liefert. In der Geschichte der Mathematik hat sich zum einen die heutzutage geforderte Strenge der logischen Beweisführung erst entwickeln müssen, und zum anderen war Beweisen zu Sätzen, die sich darauf beschränkten, dass irgendetwas nicht möglich ist oder es keine Lösungen gibt, vor Jahrhunderten keine Anerkennung vergönnt. Das Bewusstsein dafür, dass auch in solchen negativen Aussagen eine enorme mathematische Kraft liegt, hat sich erst in jüngerer Vergangenheit entwickelt.
Edmund Weitz ist ein fleißig publizierender Mathematiker. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg hat er eine Professur inne, parallel dazu hat er bereits einige auch für den populär-wissenschaftlichen Markt geeignete Bücher herausgebracht. Sein neuestes Werk "Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik" beschäftigt sich mit eben solchen Entdeckungen, den eingangs geschilderten mit negativer Aussagekraft. Weitz hat das vorliegende Buch dabei so strukturiert, dass er in farblich hervorgehobenen Kästen stets etwas tiefer und mathematischer in die Materie eindringt. Vom gemeinen Leser können diese Einschübe aber gut und gerne vernachlässigt werden, ohne dass sich für diesen das Leseerlebnis dadurch schmälert.
Die alten Griechen waren es, die ihre geometrischen Übungen ausschließlich mit Lineal und Zirkel ausführten. Sehr viele Konstruktionen ließen sich damit bewerkstelligen, doch als es galt, das flächengleiche Quadrat zu einem gegebenen Kreis oder die Volumenverdopplung eines Würfels zu konstruieren, waren sie mit ihrem Latein am Ende. Viele sehr passable Annäherungsversuche waren zwar praxistauglich, doch die theoretische Lösung stand viele Jahrhunderte aus. Als schließlich der Beweis gelungen war, dass die beiden Aufgaben mit Zirkel und Lineal unlösbar sind, war dem Entdecker zunächst kein Ruhm vergönnt. Erst posthum wurde diese Leistung angemessen gewürdigt. Ähnlich erging es den Mathematikern, die zeigen konnten, warum es für Gleichungen 4. Grades kein Pendant zur "p-q-Formel" geben kann.
Weitz setzt seine Reise durch die Geschichte der Mathematik fort mit den zahlreichen Versuchen, Euklids Parallelenaxiom aus dessen vier anderen Axiomen heraus zu beweisen. Erst der Nachweis, dass dies nicht möglich sein kann, sorgte schließlich für die Erkenntnis, dass es neben der Euklidischen Geometrie weitere geometrische Welten gibt. Am Ende von Weitz' hochgradig angenehmen Plaudereien verschlägt es ihn in den bedeutendsten mathematischen Diskurs des 20. Jahrhunderts, der damit endete, dass Kurt Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen der Mathematik einen herben Dämpfer versetzte. Für Mathematiker und Nicht-Mathematiker hält Edmund Weitz mit "Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik" eine sehr unterhaltsame und lehrreiche Auseinandersetzung mit wegweisenden Erkenntnissen der Mathematik und ihrer Rezeption in der wissenschaftlichen Welt bereit. Ein Buch, das einen beim Zuklappen deutlich schlauer zurücklässt, als man es beim Aufklappen war.
Christoph Mahnel
10.03.2025