Wissenschaften

1000 Jahre Vermessung der Welt

In Zeiten von GPS, Google Maps und mobilen Geräten, die einen immer und überall den Weg weisen, gehören Landkarten und Atlanten schon beinahe zu einer aussterbenden Spezies. Dennoch wird jeder, der sich ein wenig von der Faszination für das Analoge bewahrt hat, nicht bestreiten, dass das Blättern in Atlanten und das ziellose Stöbern in alten Karten seinen Reiz auch im 21. Jahrhundert noch nicht verloren hat. Marjo Nurminen, Archäologin mit Schwerpunkt Wissenschaftsgeschichte und -philosophie, ist diesem Reiz auch erlegen und hat in jahrelanger Recherchearbeit, die sich über Bibliotheken, Archive und Sammlungen in ganz Europa erstreckte, über 200 Weltkarten zusammengetragen und sie in einem großformatigen Band mit dem Titel "Die Welt in Karten. Meisterwerke der Kartographie" zusammengestellt.

Das Schwergewicht, das beinahe Foliantenmaße aufweisen kann, erschien 2015 bereits auf Englisch und gibt im Originaltitel - besser als in der deutschen Übersetzung - seinen Inhalt preis: "The Mapmakers´ World. A Cultural History of the European World Map". Nurminen hat sich nämlich bei der Zusammenstellung der Karten und ihrer Geschichte auf Karten beschränkt, die in Europa entstanden sind. Außerdem geht es ihr nicht nur um die Karten und das, was sie zeigen. Ihr Anliegen ist es vielmehr zu zeigen, vor welchem politischen, gesellschaftlichen und religiösem Hintergrund die Karten angefertigt wurden. Wer waren die Kartographen, wer bezahlte sie und mit welcher Absicht wurden die Karten erstellt?

Diese Kulturgeschichte der Weltkarten europäischer Herkunft umfasst einen Zeitraum von 1000 Jahren, vom 7. bis zum 17. Jahrhundert. Während es zwar bereits in der Antike Karten gegeben hat, stammt die älteste erhaltene Karte aus dem 7. Jahrhundert und ist eine der frühen T-O-Karten, bei denen die drei bekannten Kontinente Afrika, Asien und Europa durch die Flüsse Don und Nil sowie das Mittelmeer in Form eines Ts getrennt wurden. Das O bildet rundherum den Kartenrand und symbolisiert die Grenze des irdischen Raumes. Eine präzise Wiedergabe von geographischen Verhältnissen kann man den christlich geprägten Karten des Mittelalters, sogenannten mappae mundi, nicht nachsagen. Aber das war auch nicht ihr Zweck. Hilfe bei der Orientierung auf den Weltmeeren hingegen boten die Portolane - Karten, die von Seefahrern gezeichnet wurden und den Weg von Hafen zu Hafen beschrieben.

Nurminen legt bei ihrem Atlas historischer Karten nicht nur Wert auf die Einbettung in den historischen und politischen Kontext, sondern porträtiert auch einzelne Kartographen, wie zum Beispiel Pietro Vesconte oder Gerhard Mercator. Auch die unterschiedlichen Verfahren der Kartographie und der Vervielfältigung beleuchtet sie. Wurden die Wegweiser und Abbilder der Weltsicht zunächst mit Tinte und Feder auf Pergament gebannt oder später auch in Holz und Kupfer gestochen, brachte die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert auch in der Kartographie große Veränderungen, vor allem was die Verbreitung betraf, mit sich.

Nurminens Atlas mit über 200 historischen Karten ist sichtlich mit viel Herzblut und einem bestimmten Konzept im Hinterkopf zusammengetragen. "Die Welt in Karten" stellt keine Enzyklopädie dar, sondern ist eine Auswahl von Karten, die nach Bedeutsamkeit der Karten erfolgte und danach, ob sie zur inhaltlichen Struktur und zur Geschichte, die die Autorin erzählen wollte, passten. Nurminen schreibt so, dass man ihr auch als Laie gut folgen kann. Ein Fazit am Ende eines jeden Kapitels macht es außerdem möglich, den Text zugunsten des hervorragenden und oft für sich selbst sprechenden Bildmaterials auch einmal zu überfliegen und dennoch nichts zu verpassen.

Für den bibliophilen Historiker und Geographen ist der Prachtband "Die Welt in Karten", für den in der Entstehungszeit keine Kosten und Mühen gescheut wurden, ein Buch, das man gerne im Regal stehen haben möchte, da Optik und Inhalt gleichermaßen überzeugen.

Sabine Mahnel
08.01.2018

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Marjo T. Nurminen: Die Welt in Karten. Meisterwerke der Kartographie. Aus dem Englischen von Gina Beitscher und Grit Seidel

CMS_IMGTITLE[1]

Darmstadt: Theiss Verlag 2017
351 S., € 79,95
ISBN: 978-3-8062-3557-9

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.