Hörbücher

Von Maigrets und Nicht-Maigrets

Die Renaissance von Georges Simenon sowie seinem genialen Kommissar Jules Maigret scheint kein Ende nehmen zu wollen. Der belgische Autor hatte von 1931 bis 1972 Maigret-Romane am Fließband produziert und sich zum meistgelesenen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts aufgeschwungen. Dazu trugen sicherlich auch seine zahlreichen Non-Maigret-Romane bei. Denn Simenon verstand sich ebenfalls darauf, andere Charaktere als seinen Liebling vom Quai des Orfèvres in Szene zu setzen. Im Jahre 2008 hatte der Zürcher Diogenes Verlag begonnen, zunächst eine überarbeitete Edition sämtlicher Maigret-Romane in kurzer Taktung erscheinen zu lassen, ab 2010 waren dann die Non-Maigrets an der Reihe. Parallel dazu waren auch die Lesungen einiger ausgewählter Maigret-Romane als Hörbücher herausgebracht worden.

Der Audio Verlag hingegen konzentrierte sich in den beiden vergangenen Jahren um die Neuveröffentlichung von Maigret-Hörspielen, die im vergangenen Jahrhundert von den Rundfunkanstalten der ARD produziert worden waren. So erschienen 2014 mit "Maigret - Die besten Fälle" sowie im vergangenen Jahr mit "Maigret - Die spannendsten Fälle" bereits zwei CD-Boxen mit fünf bzw. vier Hörspiel-Klassikern, die auf entsprechenden Maigret-Romanen Simenons basierten. So langsam scheint dem Audio Verlag allerdings das Material an Maigret-Hörspielen auszugehen, da die vorliegende und soeben erschienene fünf CDs umfassende Box mit dem Titel "Maigret & Co - Meisterhafte Fälle" sich bereits aus Non-Maigret-Hörspielen bedient. Paritätisch verteilen sich die vier Hörspiele auf zwei mit Jules Maigret in der Hauptrolle und zwei ohne dessen Zutun.

Auf der Maigret-Seite stehen mit "Maigrets erste Untersuchung" und "Maigret zögert" zwei Fälle aus unterschiedlichen Epochen des Kommissars. In "Maigrets erste Untersuchung" ist er noch als Sekretär tätig und befindet sich in den Anfängen seines Polizeidiensts. Am Ende dieses Falls steht schließlich dank Maigrets erfolgreicher Hartnäckigkeit bei der Suche nach der Wahrheit der Aufstieg zum Inspektor. In "Maigret zögert" bekleidet er bereits den Rang eines Kommissars und ist somit auch verantwortlich für die Aktivitäten, die aufgrund eines anonymen Briefs, der einen Mord ankündigt, zu initiieren sind. Zwar kann dank des exquisiten Briefpapiers rasch die vornehme Lokation, in dem das Schreiben seinen Ursprung hat, ausfindig gemacht werden. Doch bedarf es noch eines geschickten Taktierens, um hinter die komplexen Zusammenhänge in der Anwaltskanzlei Émile Parendons zu gelangen.

In der vorliegenden Hörspiel-Box ragt allerdings ein Non-Maigret-Hörspiel unangefochten heraus, und das nicht nur ob der abweichenden Dauer. "Der Passagier vom 1. November" erstreckt sich anders als die anderen Hörspiele, die jeweils nur eine einzige CD umfassen, über zwei der silbernen Scheiben. Diese Produktion des Norddeutschen Rundfunks hat zudem bereits die meisten Jahre auf dem Buckel; anno 1956 wurde diese hervorragende Arbeit abgeliefert. In La Rochelle geht Gilles Mauvoisin, der Neffe eines vor kurzem verstorbenen Unternehmers, an Land und erfährt vom Testament seines Onkels, der ihn zum Alleinerben von dessen Vermögen gemacht hat. Peu à peu muss er allerdings schmerzhaft erfahren, dass ein den Ort beherrschendes Syndikat sich mit dieser neuen Konstellation ganz und gar nicht arrangieren möchte. Das zweite Non-Maigret-Hörspiel "Der Mörder" hingegen ist die jüngste Produktion, die Handlung darin hat Simenon gar ins benachbarte Holland transportiert, wo ein gehörnter Ehemann zum Mörder wird und die Tat lange Zeit erfolgreich vertuschen kann.

Ein grenzwertiges Phänomen, das grundsätzlich bei sehr vielen Hörspiel-Produktionen beobachtet werden kann, ist die extreme Komprimierung der Buchvorlage in die von Dialogen dominierte und nur durch möglichst wenige erzählerische Passagen unterbrochene Form des Hörspiels. Wenn wie hier dann ein Simenon-Roman von meist über 200 Seiten in ein Hörspiel mit einer Laufzeit von etwa einer Stunde gepresst wird, dann kennt dieses praktisch keinen Leerlauf, so dass der Hörer dazu verdammt ist, auf jede Regung und jeden Halbsatz zu achten und dabei auch noch die zahlreichen Sprecher auseinanderzuhalten hat. Diesbezüglich ist daher insbesondere die Produktion von "Der Passagier vom 1. November" lobend hervorzuheben, da hier eine deutlich entschleunigte Variante zum Tragen kommt. Weit über zwei Stunden ließen sich hier die Macher Zeit, um die Atmosphäre in der westfranzösischen Hafenstadt entwickeln zu können. Doch nicht nur in diesem Hörspiel begegnet man wunderbaren Sprechern wie Hans Paetsch oder Inge Meysel, sondern auch in den übrigen drei Produktionen, wo mit den Stimmen einer Evelyn Hamann oder eines Herbert Bötticher Erinnerungen an eine längst vergangene Epoche von Funk und Fernsehen wieder lebendig werden.

Christoph Mahnel
18.07.2016

 
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Das Buch:

Georges Simenon: Maigret & Co – Meisterhafte Fälle

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Sprecher: Charles Brauer, Hanns Lothar, Charles Wirths u.v.a.
Berlin: DAV 2016
Spieldauer: 5 CDs, 319 Min., €16,99
ISBN 978-3-862-31664-9

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