Hörbücher
Ein buntes Mittelalter-Panorama
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wüten im süddeutschen Raum die Bauernkriege. Der Adel fürchtet Machtverluste, die Bauern und das gemeine Volk leiden Hunger. Inmitten der Aufstände, die das Reich etwa 70.000 Tote beklagen lässt, leben zwei junge Menschen unterschiedlichen Standes ein scheinbar unbekümmertes Leben: Mathis, der Sohn des Burgschmieds auf dem Trifels, einer bedeutenden Reichsburg im Pfälzerwald und Agnes, ihres Zeichens die Tochter des Burgvogts. Doch dann stößt Agnes auf einen geheimnisvollen Siegelring, der das gesamte Machtgefüge der damaligen Zeit erschüttern könnte.
Oliver Pötzsch liefert mit "Die Burg der Könige" ein höchst lebendiges Porträt des frühen 16. Jahrhunderts. Neben der spannenden Geschichte um Mathis und Agnes gibt er Einblicke in die alltäglichen Gegebenheiten und Missstände dieser Zeit. Wie erging es den Bauern und einfachen Leuten? Wie bestritten sie ihr Leben und sicherten sich ihr Überleben? Wie entlud sich der Groll der hungernden Menschen auf Klerus und Adel? In den Jahren 1524 bis 1526, die "Die Burg der Könige" umfasst, formieren sich erste Widerstände der Bauern. Es finden heimliche Treffen statt, an denen sich außer den Bauern auch zahlreiche andere Menschen beteiligen, die die Unterjochung durch den Adel satt haben. Die Balance des gesellschaftlichen Gefüges befindet sich in einer höchst kritischen Situation, so dass ein Krieg unvermeidbar scheint.
Der Autor hat sich in den vergangenen Jahren vor allem durch seine "Henkerstochter"-Saga einen Namen gemacht. Viele Leser haben seine vier bisher erschienenen Bücher, die im bayrischen Schongau spielen, verschlungen. Nun hat sich Pötzsch laut eigener Auskunft einen Kindheitstraum erfüllt und einen Schmöker abgeliefert, der auf einer der bedeutendsten Burgen der deutschen Geschichte spielt, dem Trifels. Pötzsch selbst ist nämlich, seit er denken kann, ein Burgen-Freak. Im vorliegenden Werk konnte er sich nun in knapp tausend Seiten so richtig austoben und alles verarbeiten, was seine Fantasie jemals ersonnen hat.
Das vorliegende Hörbuch erfährt als gekürzte Lesung über acht CDs und zehn Stunden eine deutliche Straffung gegenüber dem gedruckten Werk. Dies im Hinterkopf lässt einen während des Hörens manches Mal argwöhnen, dass hier und da ob der begrenzten, zur Verfügung stehenden Zeit gewaltige Sprünge in der Geschichte vorgenommen wurden. Als Sprecher fungiert mit Johannes Steck jemand, der mit der Vertonung umfangreicher historischer Romane viel Erfahrung hat. Auf seiner Habenseite verzeichnet er unter anderem die beiden letzten Werke Ken Folletts "Sturz der Titanen" und "Winter der Welt". Seine Wahl als Sprecher für das vorliegende Hörbuch war unzweifelhaft eine richtige Entscheidung, da das Timbre seiner Stimme höchst passend für die beiden Protagonisten ist.
"Die Burg der Könige" ist ein unterhaltsames und kurzweiliges Mittelalter-Epos und beileibe keine Fantasiereise des Autors. Vielmehr erzeugt Oliver Pötzsch durch die starke Einbindung realer historischer Orte wie Speyer, Annweiler und der Burg Trifels Spannung, Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit. Es ist der klassische Mix, der gerne bei historischen Romanen angewendet wird, indem historische Personen und Ereignisse mit fiktiven Gestalten vermischt werden. Ob der beiden jungen Charaktere im Zentrum der Geschichte fragt man sich anfangs beim Hören, ob es sich um einen gestandenen historischen Roman oder doch um ein Jugendbuch handelt. Jedoch gelingt es Pötzsch, den Fokus nicht ausschließlich auf das Anbandeln der beiden Hauptdarsteller zu legen, so dass er auf jeden Fall gekonnt Distanz zum seichten Kitsch hält.
Wie so oft liefert ein historischer Roman Anlass dazu, sich näher mit einer bestimmten Epoche der Geschichte zu beschäftigen, um zu verstehen, was die Anlässe für kriegerische Aktivitäten waren und welche Konsequenzen sich daraus für bestimmte gesellschaftliche Schichten ergaben. Im vorliegenden Fall der Bauernkriege erfolgt eine interessante Beleuchtung der hierarchischen Gegebenheiten. Denn genau wie die Bauern zu horrenden Abgaben gezwungen wurden, wurde auch der Eintreibende, in diesem Falle der Burgvogt Philipp Schlüchterer von Erfenstein, von seinem Herren getriezt, mehr zu liefern, als er tatsächlich konnte.
"Die Burg der Könige" erweckt eine Epoche des Mittelalters in deutschen Landen durch eine Vielzahl von glaubhaften Charakteren unterschiedlichen Standes zum Leben und lässt einen sehr anschaulich an den Sorgen und Nöten der Menschen zur damaligen Zeit teilhaben. Die geheimnisvolle Geschichte um den von Agnes entdeckten Siegelring bleibt letztlich im Hintergrund und ein wenig nebulös. Hier lässt Pötzsch seiner schriftstellerischen Freiheit als Romanautor freien Lauf und begibt sich deutlich über das historisch Fundierte hinaus. Doch sind gerade diese Gedankenspiele um die Heilige Lanze oder die letzte Ruhestätte Barbarossas das Spannende an einer Zeit, die vor ungeklärten Mythen nur so strotzt.
Christoph Mahnel
21.10.2013