Hörbücher
Aus Leos Leben
Tom Rob Smith bittet seinen Protagonisten Leo Demidow zum dritten und letzten Mal in den Ring. Im Schlepptau der beiden Vorg?nger "Kind 44" und "Kolyma" bildet "Agent 6" den Abschluss der Trilogie um den unkonventionellen sowjetischen Ermittler. Die Handlungen im vorliegenden Roman ?berdecken einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und beginnen in den fr?hen F?nfzigern, als Leo noch als Geheimpolizist f?r den KGB aktiv war. Man erf?hrt, wie er seine Frau Raisa kennengelernt hat und mit ihr sp?ter zwei T?chter adoptierte. W?hrend dieser Anf?nge lernt er einen Afroamerikaner kennen, dessen Schicksal eng mit Leos eigenem Leben verkn?pft ist.
Jener Jesse Austin ist ein bekannter S?nger und ?berzeugter Kommunist. Er reist 1950 nach Russland, um dort den realen Kommunismus kennenzulernen, bekommt aber zun?chst von Parteifunktion?ren nur eine vorbereitete Inszenierung nach der anderen pr?sentiert. Jesse lernt Leo kennen, der ihm Russland von seiner wahren Seite zeigen soll. Anderthalb Jahrzehnte sp?ter - Leo hat sich in der Zwischenzeit vom KGB distanziert - und inmitten des Kalten Krieges soll in New York vor dem UN-Geb?ude ein Konzert stattfinden, auf dem Amerikaner und Russen gemeinsam auftreten. Leos Ehefrau Raisa organisiert dieses Konzert und fliegt mit den beiden T?chtern nach New York, wo sich einige unvorhergesehene Ereignisse die Klinke in die Hand geben.
Der zwischenzeitlich verarmte Jesse Austin soll im Rahmen des Konzerts eine Rede halten und wird bei dieser Kundgebung ermordet. Wenig sp?ter wird Raissa erschossen, die gem?? Presseberichten Jesse ermordet haben soll. Den beiden wird sogar eine Liebesgeschichte angedichtet. W?hrend die USA und die Sowjetunion wenig Interesse an der Wahrheitsfindung haben, schw?rt Leo Rache. Er beginnt, die Ermittlungen auf eigene Faust anzugehen, nachdem er alles verloren hat, was ihm lieb ist.
Tom Rob Smith hat die Figur des Leo Demidow in ein recht ungew?hnliches Umfeld eingebettet, denn nicht gerade viele Thriller englischsprachiger Autoren spielen in der Sowjetunion w?hrend der Stalin- bzw. Post-Stalin-?ra. Nach dem Riesenerfolg von "Kind 44", dem ersten Leo-Demidow-Roman, litt "Kolyma" genauso wie der vorliegende Roman daran, dieser hohen Messlatte gerecht zu werden. W?hrend in "Kind 44" und "Kolyma" die eigentlichen F?lle im Mittelpunkt standen, handelt "Agent 6" haupts?chlich vom Leben Leos, ?ber den man in den beiden Vorg?ngerromanen schon einiges erfahren hat, was nun zu einem Gesamtbild vervollst?ndigt wird.
W?hrend "Kind 44" und "Kolyma" jeweils in den F?nfziger Jahren angesiedelt waren, umfasst "Agent 6" einen ungleich gr??eren Zeitraum und spielt auf verschiedenen Kontinenten: Nach den Anf?ngen in Moskau zu Beginn der F?nfziger Jahre und den Geschehnissen in New York im Jahre 1965 schwenkt die Handlung nach Afghanistan zur Zeit der russischen Besatzung, wo Leo als ziviler Milit?rberater mehrere Jahre seines Lebens im Rausch und in Selbstmitleid verbringt.
"Agent 6" gl?nzt wie auch schon Tom Rob Smiths vorigen Romane durch die hervorragend recherchierte Einbettung zeitgeschichtlicher Hintergrundhandlungen. Dar?ber hinaus strebt der Autor stets eine realit?tsnahe Darstellung an. Der vorliegende Roman schildert die grenzenlose physische und psychische Grausamkeit auf beiden Seiten des Kalten Krieges. Zwar unterscheiden sich Sowjets und FBI in ihren Methoden, sind aber beide dennoch gleicherma?en grausam, emotions- und r?cksichtlos und gehen f?r das Wohl des Staates buchst?blich ?ber Leichen. Gem?? dem Credo von Geheimdiensten z?hlt ein Menschenleben schlie?lich weit weniger als das abstrakte Gebilde "Staat". Dieses Bild wird von Smith glaubhaft und die Jahrzehnte ?berdauernd vermittelt. Die Brutalit?t der Besetzung eines Landes wird mit dem Einmarsch der Russen nach Afghanistan gut nachvollziehbar geschildert.
Das vorliegende H?rbuch zum Abschluss der Leo-Demidow-Trilogie wird von Dietmar B?r, dem bulligen K?lner "Tatort"-Kommissar Freddy Schenk gelesen. Dank seiner markanten und unvergleichlichen Stimme ist er auch als H?rbuchsprecher f?r hochwertige Produktionen bekannt. Seine Lesung von H?kan Nessers "Kim Novak badete nie im See Genezareth" gilt als eine der gr??ten Leistungen auf dem deutschen H?rbuchmarkt. So nimmt er auch im vorliegenden Werk eine bedeutende Position ein, so dass sich in der Erinnerung des H?rers stets die Stimme B?rs mit dem Inhalt des H?rbuchs vermischen wird.
Leider geht mit "Agent 6" eine ganz besondere Reihe zu Ende, die Tom Rob Smith schlagartig ber?hmt und zu einem preisgekr?nten Schriftsteller gemacht hat. Mit der Plazierung der Rahmenhandlung in einer Epoche, die gl?cklicherweise der Vergangenheit angeh?rt, hat er eine Nische besetzt, die immer noch viele offene Fragen mit sich zieht. Smith hat mit seiner hervorragend recherchierten Arbeit einige Antworten und Innenansichten geliefert und ganz nebenbei auch noch durch hochspannende Kriminalf?lle seine Leser- und H?rerschaft in den Bann gezogen.
Christoph Mahnel
19.09.2011