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Von Wölfen und Schafen

W?hrend der Kulturrevolution in China vor nicht einmal einem halben Jahrhundert wurden Pekinger Studenten in die Mongolei verschickt, eine Landverschickung der besonderen Art: Junge M?nner wie Chen Zhen, der Protagonist im vorliegenden H?rbuch, sollten dort als Viehhirten und Z?chter arbeiten. Chen selbst ist sofort fasziniert von den W?lfen und begeistert von der Idee, selbst einen kleinen Wolfsjungen aufzuziehen und ihn zu erforschen, um das Wesen der W?lfe besser kennenzulernen.

Jiang Rongs "Der Zorn der W?lfe" ist der erste globale Bestseller aus China und dort nach der Mao-Bibel das meist gelesene Buch aller Zeiten. Hinter Jiang Rong verbirgt sich der Pekinger Politikprofessor L? Jiamin, der w?hrend der Kulturrevolution selbst elf Jahre in der mongolischen Steppe verbracht hatte und sich mit seinen Studenten 1989 an den Demonstrationen am Platz des Himmlischen Friedens beteiligt hatte. Daf?r b??te er - verurteilt als Konterrevolution?r - anderthalb Jahre im Gef?ngnis. "Der Zorn der W?lfe" ist letztlich ein autobiographisches Werk Rongs/Jiamins und hat ihn nach eigenen Aussagen f?nfundzwanzig Jahre Recherchearbeit gekostet.

Chen wird von seinem Ziehvater Bilgee in die Lebensart der Nomaden im Olonbulag eingewiesen. Er versteht rasch die im H?rbuch ausgiebig erl?uterten Zusammenh?nge des ?kologischen Gleichgewichts zwischen Flora, Fauna und Mensch im Grasland der Mongolei. Dieses ?kologische Gleichgewicht beinhaltet auch die hierzulande abwegige und schwer zu vermittelnde Legitimation der W?lfe, Schafe rei?en zu d?rfen, da dies alles dem Gro?en und Ganzen dient, der Aufrechterhaltung des ?kologischen Gleichgewichts, das seit Jahrtausenden besteht und die Lebensweise der Mongolen pr?gt. Erst der Eingriff des Menschen, im vorliegenden Fall der Chinesen, bedroht dieses Gleichgewicht und bringt es letztlich zu Fall.

"Der Zorn der W?lfe" ist nicht nur eine Geschichte von Chen und Bilgee, den W?lfen und Schafen, sondern vor allem einen Parabel auf die herrschenden Verh?ltnisse in China. Die W?lfe stehen hierbei f?r die unz?hmbaren und freiheitsliebenden Mongolen und deren Mut und Selbstbewusstsein, w?hrend die Han-Chinesen den Schafen gleichgesetzt werden. Rong spielt dabei auf die Unterw?rfigkeit, Obrigkeitsh?rigkeit, Demut und Passivit?t der Chinesen an. So fordert er auch f?r das Miteinander der Mongolen und Chinesen eine Art Gleichgewicht und keine angeordnete Umerziehung oder Verpflanzung von Menschen. Der Untergang des nat?rlichen Gleichgewichts in der mongolischen Steppe durch die brutale Vorgehensweise der Menschen sei somit Warnung genug an die Pekinger Parteif?hrung.

Dass Rongs Buch ?berhaupt erscheinen konnte, verdankt er dem gl?cklichen Zusammenkommen mehrerer Faktoren: Zum einen war dies nur unter einem Pseudonym m?glich - h?tte man gewusst, dass ein "Konterrevolution?r" hinter dem Buch stand, w?re das Projekt sofort gescheitert -, zum anderen befand sich China 2004 zum Zeitpunkt des Erscheinens in einer Art politischen Tauwetters, unter anderem bedingt durch einen Regierungswechsel in Peking. Getrieben durch den gro?en Erfolg seines Bestsellers erhofft sich Rong die Erf?llung seines Hauptgedanken: "F?r die heutigen Chinesen ist es notwendig, vom Geist des Wolfes zu lernen!"

Das vorliegende H?rbuch umfasst in einer gek?rzten Lesung des sich ?ber 700 Seiten erstreckenden Buches insgesamt acht CDs und erh?lt durch Martin Bross? Vortrag eine passende Atmosph?re. Er arbeitet die einzelnen Charaktere stimmlich gut heraus und trifft stets den richtigen Ton. "Der Zorn der W?lfe" ist ein Werk, das unter die Haut geht und einen betroffen zur?ckl?sst. Der Autor fesselt den H?rer, emotionalisiert, l?sst ihn Partei ergreifen f?r die W?lfe und kreiert bei ihm Trauer und Wut, so dass der H?rer sich w?nscht, ?ber das Ende hinaus mehr vom Schicksal der W?lfe zu erfahren. Jiang Rongs Meisterwerk ist eine Parabel f?r das Zusammenleben der Menschen, die sich f?r eine Diversit?t an Kulturen und deren Austausch untereinander ausspricht, und letztlich zeigt, dass Umerziehung niemals funktionieren kann - weder beim Wolf noch beim Menschen.

Christoph Mahnel
20.09.2010

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