Hörbücher
Von Herzen und gut fürs Herz
In einer kleinen Vorstadt Londons plant der windige Autohändler "Hatch" Back, was - ganz nebenbei bemerkt - im Englischen "Heckklappe" bedeutet, mit einem aufsehenerregenden Wettbewerb sein kriselndes Autohaus vor der Insolvenz zu bewahren. Die Spielregeln sind einfach, aber genial: Wer seine Hand am längsten auf den zur Siegestrophäe auserkorenen Land Rover legt, darf diesen als Gewinn mit nach Hause nehmen. Dass ein solcher Wettbewerb die merkwürdigsten Gestalten anziehen wird, liegt auf der Hand. Anthony McCarten hat mit diesem simplen Szenario die Grundlage für eine Geschichte geschaffen, die der Phantasie unzählige Möglichkeiten bietet. Dass der gebürtige Neuseeländer mit seinem vierten Roman diese Möglichkeiten überzeugend genutzt hat, davon sollten sich Literaturbegeisterte mit einem Faible für Geschichtenerzähler der etwas skurrilen Art umgehend überzeugen!
McCarten hat zwei der insgesamt vierzig Teilnehmer als Protagonisten auserkoren, um diese beiden gegenüber Leser und Hörer detaillierter und mit einem Einblick in ihre Vorgeschichte einzuführen. Da wäre zum einen der vierzigjährige Zyniker Tom Shrift, dessen Grußkarten-Firma kürzlich den Bach runtergegangen ist, der sich partout nicht mit gesellschaftlichen Konventionen abgeben möchte und für den Integration ein Fremdwort ist. Im Vorfeld des Wettbewerbs streift sein Weg kurz den der alleinerziehenden Mutter Jess Podorowski. Jess ist die tragische Gestalt der vorliegenden Geschichte. Vor geraumer Zeit starb ihr Mann bei einem Autounfall, während ihre Tochter dabei schwer verletzt wurde und seither im Rollstuhl sitzt. Jess arbeitet als Politesse und ist dem täglichen Spott und Schimpf ihrer Mitmenschen ausgesetzt, unter anderem auch den Anfeindungen Toms, nachdem sie dessen Wagen mit einem "Knöllchen" versehen hat. Jess muss den Land Rover unbedingt gewinnen, denn dann könnte sie ihre Tochter Natalie samt Rollstuhl problemlos in die Schule bringen. Ohne zuviel vorwegzunehmen, wird das mal unter Spannung stehende und mal von Zuneigung beflügelte Verhältnis zwischen Tom und Jess den Wettbewerb lange Zeit tragen, denn Protagonisten scheiden nun einmal nicht in den ersten Runden eines Wettbewerbs aus.
Das vorliegende Hörbuch ist alleine deswegen ein Selbstläufer, weil der Meister aller Stimmen am Mikrofon sitzt: Rufus Beck. Er ist zu Recht der momentan gefragteste Sprecher von Hörbüchern im deutschsprachigen Raum. Insbesondere mit der Lesung der "Harry Potter"-Romane hat er sich seinen Platz im Hörbuch-Olymp gesichert. Rufus Beck macht aus jeder Lesung eines Hörbuchs dank seiner stimmlichen Vielfalt stets ein Hörspiel. Im vorliegenden Werk ist alleine seine Intonation des Radiomoderators, der gelegentlich über den Wettbewerb berichtet, ein Geniestreich. Rufus Becks Stimme hat einen einzigartigen Wiedererkennungswert und ist somit für jedes Hörbuch eine Erfolgsgarantie.
"Hand aufs Herz" und der darin im Mittelpunkt stehende Wettbewerb sind eine Parabel auf das Leben. Die Extremsituationen in Sachen Geduld, Durchhaltevermögen, Disziplin und Schlafmangel kehren die wahren Seiten der Teilnehmer schonungslos nach außen. Die Teilnehmer begehen früher oder später alle ihren eigenen Seelen-Striptease, was Leser und Hörer begeistert am Fortgang der Geschichte kleben lässt. Man fragt sich tatsächlich, ob auch die mehrheitlich restriktiven Teilnehmer aus den unzähligen und unsäglichen "Big Brother"-Staffeln ähnliche Prozesse durchlaufen?
Das vorliegende Werk begeistert vor allem durch die Nüchternheit des Plots, da es bis zur Mobilisierung des Wettbewerbs abgesehen von einem kleinen Nebenstrang nahezu als Kammerspiel inszeniert wird. Am Ende des Tages sind alle irgendwie Sieger, denn entgegen der ursprünglichen Intension, den Land Rover zu gewinnen, wird mehr oder weniger jedem Teilnehmer allmählich bewusst, dass für ihn der Weg das Ziel des Wettbewerbs ist und der Sieg immer oberflächlichere Bedeutung erlangt. Jeder Teilnehmer hat im Laufe des Handauflegens viel über sich erfahren und über den Wettbewerb hinaus für sich mitgenommen - wenn auch 39 Teilnehmer am Ende keinen Land Rover. McCarten, dieser wunderbare Geschichtenerzähler, der das Herz anspricht und zu Tränen zu rühren vermag, ohne dabei kitschig zu werden, hat Leser und Hörer an diesen Prozessen teilhaben lassen und am Ende begeistert zurückgelassen. "Hand aufs Herz" gehört zu den Werken, die man mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen zurück ins Regal stellt und auf der Liste möglicher Geschenke für Freunde ganz oben einsortiert.
Christoph Mahnel
29.03.2010