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Von einem überfahrenen mexikanischen Schwanzlurch

Wer beim Titel des vorliegenden Werkes als Nicht-Biologe zunächst an eine künstliche und sehr gelungene Wortschöpfung denkt, der muss schnell korrigiert werden: Ein Axolotl ist ein nachtaktiver mexikanischer Schwanzlurch, in diesem Falle ein überfahrener allerdings, ein "Roadkill" eben. Eine Besonderheit des Axolotl ist, dass er einfach nicht erwachsen wird, und dies leitet perfekt zu Mifti über, der Protagonistin des vorliegenden Hörbuches - einer gekürzten Lesung des dieser Tage viel Beachtung findenden Debüts der siebzehnjährigen Helene Hegemann.

Die sechzehnjährige Mifti lebt nach dem Tod ihrer Mutter in einer Berliner WG. Wie der Hörer peu à peu und völlig unstrukturiert erfährt, geht Mifti nicht zur Schule, nimmt Drogen jedweder Art auf alle erdenklichen Arten, leidet unter dem Tod ihrer Mutter und gibt sich Affären mit Frauen aus gänzlich verschiedenen Lebenssituationen hin. "Axolotl Roadkill" folgt dabei keinen althergebrachten Literatur-Konventionen, die eine Geschichte entweder chronologisch von vorne oder retrospektiv oder wie auch immer erzählen. Stattdessen springt Hegemann in ihren Fragmenten einem nicht erkennbaren Muster folgend durch das Buch ganz wie ihre Protagonisten durch ihr wohlstandsverwahrlostes Leben. Dies wiederum entfacht beim Hörer starke Gefühle: Mal ist es Erheiterung und Freude am Gesagten, dann wieder Verärgerung ob des fehlenden roten Fadens und der vermeintlichen Belanglosigkeit von Wortfetzen.

Zumindest in Grundzügen lassen sich Parallelen zwischen Mifti und der jungen Autorin ziehen: Auch Helene Hegemann musste den Tod ihrer Mutter in jungen Jahren verkraften, bevor sie anschließend vierzehnjährig nach Berlin zog. Darüber hinaus mag man sich fragen, welche Erfahrungen eine junge Frau von siebzehn Jahren gemacht haben oder ihr vom Hörensagen bekannt sein müssen, um derart überzeugend Drogenexzesse und ihre Folgen beschreiben zu können. Über Aufbau und Inhalt des vorliegenden Werkes kann man sich streiten, es mag gefallen oder auch nicht, was allerdings höchste Beachtung und Zustimmung finden muss, ist die Sprachgewalt Hegemanns. Worte prasseln auf den Hörer ein, so dass man sich attackiert fühlt wie bei Billy Joels Schlagwort-Bombardement "We didn`t start the fire", wenn einem `North Corea`, `South Corea` und `Marilyn Monroe` nebst `Catcher in the Rye` im Stakkato um die Ohren gefeuert werden.

Ohne Zweifel hat es in der deutschen Literaturszene in den vergangenen Jahrzehnten selten ein Debüt gegeben, das mit soviel Aufmerksamkeit beobachtet wurde: Siebzehn Jahre und eine derart wortgewaltige Sprache. Der gemeine Leser hole nur einmal sein Heft mit den Deutsch-Aufsätzen aus der 11. Klasse hervor und rümpfe nicht die Nase über eigene arg gestelzte Formulierungen. Man wird sicherlich noch viel hören von Helene Hegemann - vor allem dann, wenn sie irgendwann einmal ein interessantes Thema gefunden und getroffen hat, das sie mit ihrem Sprachtalent versehen kann. "Axolotl Roadkill" dagegen kommt in etwa so rüber, als ob Juli Zeh "Feuchtgebiete" hätte nacherzählen müssen.

Der eigentliche Star des Hörbuchs ist allerdings die Sprecherin Birgit Minichmayr. In ihrer rauchigen, verlebt klingenden Stimme spiegelt sich das ganze vergammelte Sein Miftis einfach perfekt wider. Ihre lasziv hingehauchten englischen Wortfetzen und ihre flapsige sprachliche Interpretation von Miftis Gedanken lassen einen teilhaben am tatsächlichen Treiben im Berliner Underground.

Zu guter Letzt dürfen natürlich die gerade aufgedeckten Plagiatsvorwürfe nicht unerwähnt bleiben. Verlag und Autorin haben bereits zähneknirschend und mit merkwürdigen Begründungen zugegeben, dass einige Abschnitte starke Ähnlichkeiten mit dem 2009 veröffentlichen Roman "Strobo" des Bloggers Airen aufweisen. Hierbei hat aber jeder Leser bzw. Hörer selbst zu entscheiden, welches Gewicht er diesen Dingen gibt. Sicherlich ist in diesem Falle die journalistische Gier bei der Jagd nach einer enthüllenden Story und damit das ganze Aufhebens größer als der letztendliche Einfluss von Hegemanns partiellem "Copy & Paste" auf das Gesamtwerk "Axolotl Roadkill".

Christoph Mahnel
15.02.2010

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