Hörbücher

Mittelalterliches Road-Movie

Inmitten der Wirren des englischen Bürgerkriegs im 12. Jahrhundert spielt Rebecca Gablés neuestes Werk "Hiobs Brüder". Wie schon bei Ken Folletts Jahrhundert-Roman "Die Säulen der Erde" bildet der Thronfolgestreit zwischen Kaiserin Maud und König Stephen de Blois die Kulisse für ein opulentes Mittelalterepos. Auf über 900 Seiten bzw. während knapp 15 Stunden in der Hörbuchfassung führt Gablé Leser wie Hörer durch das chaotische und gebeutelte England, in dem während "The Anarchy" teils gesetzlose Zustände herrschten.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf auf der "Insel der Verdammten": Die Mönche von St.Pancras verbannen auf die verfallene Isle of Whitholm all diejenigen, die körperlich und geistig benachteiligt sind, also solche, die nach dem damaligen Weltbild nicht Gottes Kinder sind. Mit der Ankunft des an Fallsucht leidenden Simon de Clare auf der Insel lernt der Hörer sie allesamt kennen: die siamesischen Zwillinge Godric und Wulfric, den schwachsinnigen Oswald, Luke, der eine Schlange in sich glaubt, König Edmund, der sich für eine Wiedergeburt des Märtyrer-Königs hält, Regy, einen Hannibal Lecter ähnlichen, wahnsinnigen Massenmörder, und insbesondere den an einer Amnesie leidenden Losian, der sich gleichsam als Anführer der Verbannten hervortut. Diese Acht sind es auch, die nach einer Sturmflut die Verwirrung und die Gunst der Stunde nutzen, um von der Insel zu fliehen und hernach als eine äußerst heterogene und nicht minder illustre Protagonistenschar durch die Lande zu ziehen.

Dabei ist die Suche nach dem dunklen Geheimnis Losians, dessen Name nichts anderes als "verloren sein" bedeutet, vorrangig.  Sie beherrscht das erste Drittel des (Hör-)Buches. Sehr bald wird klar, dass Losian bzw. demjenigen, der er einmal war, eine nicht unerhebliche Rolle im herrschenden Krieg zwischen Kaiserin Maud und König Stephen zukommt. In ihrer farbenprächtigen und bildgewaltigen Erzählung beweist Rebecca Gablé zum wiederholten Male ihre hohe Expertise in englischer Geschichte (so auch ihre kürzlich erschiene kurzweilige, aber nützliche Geschichte des englischen Mittelalters "Von Ratlosen und Löwenherzen") und vermittelt diese Lesern wie Hörern, ohne sich dabei in verwinkelten Verwandschaftsbeziehungen, politischen Ränkespielen und Langeweile zu ergehen. Ähnlich wie bei Follett sind auch Gablés Figuren in "Hiobs Brüder" sehr stark gezeichnet und lassen sich vom ersten Moment an in Gut und Böse einteilen, allerdings schreibt Gablé deutlich "weiblicher" als ihr walisischer Kollege: Ihre Charaktere kennen nicht die fiesen Bösartigkeiten, die den Leser so sehr vereinnahmen, dass er den Schurken an den Kragen möchte. Stattdessen findet bei ihr Liebesglück doch relativ schnell zusammen, auch sind die männlichen Helden nahezu ohne Fehl und Tadel und derart ritterlich konstruiert, wie sich Frauen ihre Liebsten insgeheim nur wünschen.

Der in englischer Geschichte bewanderte Hörer wird ob des plötzlichen Auftauchens Henry Plantagenets schmunzeln. Er ist es nämlich, der im Jahre 1153 als Heinrich II. durch den Vertrag von Wallingford als Thronerbe anerkannt wird, was schließlich den Bürgerkrieg nach 17 Jahren beendet. Rebecca Gablé ist mit "Hiobs Brüder" erneut ein hervorragender Mix aus historisch verbürgten Figuren und Ereignissen, wie z. B. dem für die Bedeutung der vorliegenden Geschichte nicht unerheblichen Untergang des White Ships, mit fiktiven Personen wie den beiden Protagonisten Alan von Helmsby aka Losian und Simon de Clare gelungen. Auch lässt es sich Rebbeca Gablé nicht nehmen, ein wenig Sozialkritik mit einfließen zu lassen, denn es ist schon eine erschreckende Vorstellung, welche Macht die Kirche jener Tage hatte und qua Amtes Menschen mit heutzutage akzeptierten Krankheiten wie Epilespie als Aussätzige oder Besessene abstempeln konnte.

Was für das vorliegende Hörbuch jedoch den großen Unterschied zu anderen mittelalterlichen Romanen bzw. deren Hörbuchfassungen macht, ist die brillante Umsetzung durch Detlef Bierstedt, der der breiten Masse wohl als Synchronstimme George Clooneys bekannt sein dürfte. Detlef Bierstedt macht einem Rufus Beck ähnlich durch seine Stimme aus einem Hörbuch ein Hörspiel, da er nahezu jedem Charakter durch leichte Veränderungen seiner Stimmlage eine unverwechselbare eigene Stimme gibt.

Dies macht es dem Hörer insbesondere bei einem solch langen Hörbuch leicht, in den gesprochen Dialogen allein durch das Hören der Stimme die Sätze den entsprechenden Personen zuzuordnen, ob dies die Zwillinge Godric und Wulfric sind oder gar Regy, dessen Wahnsinn schon durch Bierstedts Intonation zutage tritt.

Auch die Aufmachung der Hörbuch-Box genügt allerhöchsten Ansprüchen: Die zwölf CDs finden in zwei stabilen Pappklappen Platz, die mit einigen Zusatzinformationen nebst mittelalterlichen Motiven versehen und selbst wiederum in einem Pappschuber untergebracht sind. Audio Lübbe sei Dank dafür, dass aus einem guten Mittelalter-Roman ein wirklich unvergessliches Hörbucherlebnis geworden ist!

Christoph Mahnel
07.12.2009

 
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Das Buch:

Rebecca Gablé: Hiobs Brüder

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Sprecher: Detlef Bierstedt
Bergisch-Gladbach: Lübbe Audio Verlag 2009
Spielzeit: 881 Min., € 29,99
ISBN: 978-3-7857-4182-5

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