Hörbücher

Das Genie , das nie erwachsen werden sollte

"Der Bub weiß mit acht Jahren alles, was man von einem Mann von 40 Jahren erwarten kann", sagte der Komponist Leopold Mozart einmal über seinen Sohn. Die Beschreibung eines Wunderkindes. Wer aber ist Wolfgang Amadeus Mozart, der Mensch und Komponist? Ein bereits mit acht Jahren erwachsener Mann? Ein Kind, das nie erwachsen werden wollte?

Das vorliegende Hörbuch versucht, dieser Frage nachzuspüren. Dabei konzentriert sich die Autorin Corinna Hesse vor allem auf  Mozarts Verhältnis zu seinem Vater. Anders als andere Biografen versucht die Musikwissenschaftlerin, Beziehungen zwischen Mozarts Leben und seiner Musik herzustellen. Daten zu seinem Leben (1756-1791) werden auf der CD selbst vermieden, was das beiliegende Booklet auszugleichen sucht. Stattdessen vernimmt der Hörer – eindrucksvoll von Henning Westphal erzählte – Geschichte, kombiniert mit Auszügen aus Mozarts Werk.

„Nach Gott kommt gleich der Papa“?

Anschaulich wird erzählt, wie „das Wolferl“ bereits im zarten Alter von sieben Jahren mit seiner ebenfalls begabten Schwester „Nannerl“ auf Tournee geht, damit dem Adel die talentierten Kinder präsentiert würden. In der Familie nimmt er die Rolle des Ernährers ein: ein Kind, das erwachsen sein muss. Als er älter wird, ist dem Vater Leopold klar: das Wunder darf nicht enden, Wolfgang nicht erwachsen werden, sonst ist der (wirtschaftliche) Erfolg zunichte. Er zieht seine Konsequenzen. Noch mit 16 Jahren darf Wolfgang nicht allein in die Oper.

Sich gegen seinen Vater aufzulehnen, kommt freilich nicht in Frage. Im Gegenteil, die Hochachtung Wolfgangs für Leopold Mozart kennt keine Grenzen: „Nach Gott kommt gleich der Papa.“ Das gilt auch noch, als dieser den Kontakt zu Wolfgangs geliebtem „Bäsle“ (Base, Cousine) unterbinden möchte und ihn mit seiner Mutter nach Paris schickt. Als diese dort stirbt (3. Juli 1778), ist Wolfgang allein wie nie. Auch seine Musik hat keinen Erfolg. In dieser Notsituation trifft er Aloysia Weber, in die er sich verliebt. Später wird er ihre Schwester Constanze heiraten, was seinem Vater ganz und gar missfällt.

Auf dem Höhepunkt seiner Schöpfung schreibt Mozart den „Idomeneo“ – die Darstellung eines Vater-Sohn-Konfliktes. Damit, interpretiert Corinna Hesse, schreibt Mozart seine künstlerische Unabhängigkeitserklärung. Sein Vater, der dieses Werk kritisiert und Wolfgang stets ermahnt, das Populare nicht zu vergessen, scheint vom Thron zu stürzen. Seinen Platz nimmt Joseph Haydn ein, der einzige Zeitgenosse Mozarts, der ihn zum größten lebenden Komponisten erklärte.

Die Distanzierung zu seinem Vater hat auch einen Verlust an Respekt vor adeligen Förderern zur Folge, um deren Beistand Leopold stets kämpfte. Wie seine Figuren gegen die Obrigkeit mokieren, lässt sich der Komponist Wolfgang nun nichts mehr sagen. Als sein Vater bald darauf stirbt, deutet nichts auf Trauer von Seiten „Wolferls“ hin. Viele Biographen hat dieses Verhalten verstört: berührt Mozart der Tod seines Vaters nicht? Für Corinna Hesse steht fest: natürlich tut er das. Doch bettet Mozart seine Trauer in Fröhlichkeit ein. Als sein Vater noch lebt, beantwortet der jedes Klagen von Wolfgang mit dem Ausruf, er selbst habe noch viel mehr zu jammern. Und so tröstet Wolfgang seinen Vater noch im Tod wie ein Kind mit fröhlicher Musik.

Mozarts Welt der Musik

Von Mozarts Figuren steht ihm selbst – so vermutet die Autorin – Don Giovanni am nächsten: als einziger von Wolfgangs Hauptfiguren hat er keine große Arie zu singen und beherrscht doch die Gedanken aller anderen. Er ist Einzelgänger und erklärt das Leben zur Kunst. Er verkörpert die Sehnsüchte der anderen – doch in ihm ist eine große Leere.

Gegen Ende seines Lebens plagen Wolfgang Amadeus (der seinen zweiten Namen vom ursprünglichen Vornamen Theophilus herleitet) finanzielle Nöte; obwohl er gut verdient, schreibt er Bittgesuche. Ob er Spielschulden hatte, möchte Corinna Hesse ebenso wenig mutmaßen wie über viele andere Mythen, etwa das Constanze möglicherweise eine Affäre mit Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr hatte. Ganz ausgespart werden ferner Spekulationen über Wolfgangs Todesursache, insbesondere Zusammenhänge zu Salieri, es heißt schlicht, er sei am „hitzigen Frieselfieber“ verstorben. Auch wird nicht erwähnt, dass Mozart zur Wiener Freimaurerloge gehörte.

Nach seinem Tod geben Nannerl und Constanze getrennt Biographien in Auftrag, worin sich beide als Wolfgangs Schutzpatroninnen ausgeben – und beide den Mythos vom unselbständigen Kind nähren. Ein Kind, so stellt die Autorin fest, dass immerhin seiner Familie zu beträchtlichem Einkommen verholfen hat. Möglicherweise, so scheint es, hat Mozart in Wahrheit kaum jemand richtig verstanden. Er lebte in  seiner eigenen Welt, einer Welt der Musik. In dieser Musik stellte er eine Nähe zum Menschen her, die ihm im wirklichen Leben vielleicht versagt blieb.

Das Mozart-Hörbuch aus dem Silberfuchs-Verlag (im Jahr 2005 von Corinna Hesse und Antje Hinz gegründet) stellt einen interessanten Gegenpol zu vielen im Mozart-Jahr erschienenen Biographien her. Weit häufiger wird dort Spekulationen nachgegangen als in die Musik hineingehorcht. So eignet sich diese Biographie für alle, die weniger Wert auf Zahlen und Fakten als auf ein grundlegendes Verständnis der Person Mozarts legen. Die gerne Anspruchsvolles hören und dabei doch unterhalten werden möchten.

Yvonne Pioch
05.07.2006

 
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Das Buch:

Corinna Hesse: Mozart. Das Hörbuch

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Sprecher: Henning Westphal
Kayhude: Silberfuchs-Verlag 2006,
Spielzeit: 95 Min., € 25,00
ISBN: 3-9810725-0-2

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