Hörbücher

Erbarme , zu spät , die Russe komme!

Seit Januar 2008 ist der Radiotatort auf Sendung. Diese von den ARD-Landesrundfunkanstalten produzierte Hörspielserie folgt einem ähnlichen Konzept wie der Fernsehtatort: Rotierend produzieren die Landesrundfunkanstalten ihre Folgen mit einem festen, regional verwurzelten Ermittlerteam in der Hauptrolle. Die Ausstrahlung der einzelnen Folgen erfolgt über die Kulturprogramme aller Rundfunkanstalten an mehreren Terminen über einen Zeitraum von zwei Wochen. Die Hörspiele können zudem auf www.radiotatort.de online über einen integrierten Audio-Player angehört werden, für einzelne Folgen ist auch ein zeitlich limitierter Download der jeweiligen MP3-Dateien auf derselben Website möglich.

Während der Fernsehtatort seine Folgen seit 1970 unentwegt produziert und mit schnellen Schritten auf eine vierstellige Folgenzahl zustrebt, wird der Radiotatort diesbezüglich nicht mithalten können, da momentan lediglich eine Folge des Radiotatorts pro Monat veröffentlicht wird. Der vorliegende, in Wiesbaden angesiedelte Fall war erstmalig im September 2008 zu hören. Das ungleiche Paar Camillo und Raimund Stein fungiert hier als Pendant zu Dellwo und Sänger, den beiden Protagonisten des Fernsehtatorts vom Hessischen Rundfunk. Während Vater Camillo als Pressefotograf ein unstetes, weder den Tageszeiten noch sonstigen gesellschaftlichen Gepflogenheiten angepasstes Leben führt, ist sein Sohn Raimund als Hauptkommissar, Familienvater und Reihenhausbesitzer das exakte Gegenteil. Jedoch tun diese Unterschiede der gegenseitigen Liebe und dem Respekt keinen Abbruch. Hinsichtlich der Auflösung des vorliegenden Falles ergänzen sie sich sogar prima.

Das Hörspiel hat seinen Beginn auf einer Benefizgala, wo eine nackte, blutverschmierte osteuropäische Prostituierte über die Tanzfläche torkelt und tot zusammenbricht. Mit dem Sektfabrikanten Hans Struck ist noch ein weiteres Opfer im Rahmen derselben Veranstaltung zu beklagen. Die Spuren führen aufgrund einer abgebrochenen Krimsekt-Flasche am Tatort zu zwei ukrainischen Brüdern, die dabei sind, den hiesigen Markt für Sekt zu übernehmen. Des Weiteren ist aber auch hohe politische Prominenz undurchsichtig in die Umstände des Falles verwickelt. Interessant zu beobachten ist die zum wiederholten Male thematisierte Angst vor der Übernahme von hiesigen Institutionen durch osteuropäische Großinvestoren. Bereits Frank Demant hat dieses Motiv in seinem aktuellen Simon Schweitzer-Krimi "Verschollen im Taunus" behandelt. Was im vorliegenden Fall eine Gefahr für die Wiesbadener Sekt-Dynastien darstellt, ist bei Demant die Angst um die Diva vom Main, den Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Ohne zuviel vorwegzunehmen, sei angemerkt, dass in beiden Fällen die lokalen Denkmäler (noch) verschont werden.

Der Radiotatort ist eine großartige Idee mit einem erfolgversprechenden Konzept, das bezüglich der Hörspielgestaltung sogar eine gewisse literarische und künstlerische Meisterschaft erlangt. Doch ob allerdings der Verkauf der Radiotatort-Folgen im Handel zu einem Preis von 14,95 Euro - für 48 Minuten im vorliegenden Fall - bei gleichzeitiger Online-Verfügbarkeit bzw. der Möglichkeit zum Download eine Zukunft hat, ist sehr fraglich. Das ungleiche Vater-Sohn-Paar aus Wiesbaden hat in der Zwischenzeit bereits in einem zweiten Fall ermittelt: "Laute und leise weibliche Schreie" erschien im April 2009. Ihr Erstling "Krim-Krieg in Wiesbaden" ist insbesondere hinsichtlich des Spannungsbogens ein handwerklich solider Hörspiel-Krimi mit Platz nach oben, der von einigen anderen Radiotatort-Folgen bereits in Anspruch genommen worden ist.

Christoph Mahnel
27.07.2009

 
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Das Buch:

Roland Schimmelpfennig: Radio-Tatort: Krim-Krieg in Wiesbaden

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Sprecher: Peter Fitz, Peter Jordan, Sandra Bayrhammer, Nina Petri
München: Der Hörverlag 2009
Spielzeit: 48 Min., € 14,95
ISBN: 978-3-86717-335-3

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