Hörbücher

Wenn es dem Esel zu gut geht, ...

Adéle, erfolgreiche Journalistin, Mitte dreißig, Mutter eines Sohnes, verheiratet mit einem Arzt, hat eigentlich alles, was das vernünftige Herz begehrt. Sie lebt mit ihrer Familie am Fuße von Montmatre, genießt Wohlstand und darf in ihrem Beruf spannende Herausforderungen bewältigen. Doch Adéle ist eine Getriebene, sie stürzt sich von einer Affäre in die nächste, wirft sich dem nächstbesten Mann an den Hals, um ein sexuelles Abenteuer zu erleben und sich dabei demütigen zu lassen. Ihre Sucht, ihre nymphomanen Triebe kosten Adéle unglaublich viel Energie. Ihre Bekanntschaften pflegt sie in einem Zweithandy, die eh schon schwierige Jonglage zwischen Journalistin, Mutter und Ehefrau kostet sie eingedenk des aufwendigen Versteckspiels unglaublich viel Energie. Wo soll ihr rastloser Weg hinführen? Welcher Kick wird sie morgen befriedigen? Wie kann eine Steigerung überhaupt noch aussehen?

"All das zu verlieren" ist der Roman, der das Dilemma von Adéle zum Inhalt hat. Mit Leïla Slimani zeichnet eine preisgekrönte französische Autorin verantwortlich für dieses Drama einer Frau und einer ganzen Familie. Slimani hatte erstmals im Jahre 2016 aufhorchen lassen, als sie für "Dann schlaf auch du" den wichtigsten französischsprachigen Literaturpreis, den prestigeträchtigen Prix Goncourt, erhalten hatte. Dieser Roman war im Jahr drauf auch in einer deutschen Übersetzung erschienen und hierzulande ebenfalls sehr erfolgreich. Da sich die Autorin mit Folgeromanen aktuell noch etwas Zeit lässt, hat man nun ihr im Jahre 2014 erschienenes Debüt in deutscher Sprache herausgebracht. Aus "Im Garten des Ungeheuers" - so der entsprechende Titel des französischen Originals - wurde "All das zu verlieren", eine Geschichte mit ganz viel Potential zum Kopfschütteln.

Adéle, die nymphomane Protagonistin, begeht einen absehbaren Selbstmord auf Raten. Die Versuche ihres Mannes, den Sex ins eigene Ehebett zu bringen, lässt sie eiskalt an sich abperlen, auch seine immer intensiver vorgetragenen Bestrebungen, ein eigenes Haus auf dem Lande zu beziehen und die Familie um ein zweites Kind zu vervollständigen, können Adéle keine Linderung verschaffen. Im Gegenteil, Adéle macht komplett dicht und beginnt immer riskantere Affären, ob mit ihrem Chef oder dem Freund und Kollegen ihres Mannes. "All das zu verlieren" ist die klassische Geschichte eines Esels oder hier vielmehr einer Kuh, der es zu gut geht und die dann aufs Eis geht. Es ist absehbar, dass alle verlieren werden: zuvorderst ihr Sohn Lucien, ihr Mann Richard und schlussendlich Adéle selbst.

Die vorliegende Hörbuchausgabe des Hörverlags beinhaltet eine vollständige Lesung des beim Luchterhand Literaturverlag erschienenen Buches. Etwas mehr als fünf Stunden umfasst der Vortrag von Nora Waldstätten, die mit ihrer leicht verruchten Stimme den Gedanken und Handlungen Adéles das passende Timbre verleiht. Als Hörer fragt man sich beständig, was die Autorin einem mit der Schilderung von Adéles Drahtseilakt denn mitteilen möchte? Slimani ist als gebürtige Marokkanerin eine sehr prominente Stimme nordafrikanischer Frauen, weshalb sich die Frage stellt, ob sie hier vielleicht zu einem Befreiungsschlag für unglückliche Frauen ansetzt? Oder ob sie vielmehr warnend den Zeigefinger heben möchte, um emotionalen Ausbrüchen mit der Vernunft Einhalt zu gebieten? Die Interpretation obliegt letztlich dem Leser bzw. dem Hörer, da Slimani ihre Geschichte dahingehend kurzerhand und ergebnisoffen auslaufen lässt.

Um es positiv auszudrücken, hat Leïla Slimani bereits bewiesen, dass sie sich von ihrem ersten Buch, dem vorliegenden, bis zu ihrem zweiten Buch, für das sie den Prix Goncourt eingestrichen hat, schriftstellerisch weiterentwickelt hat. Aus kommerziellen Gründen hat das nachgelagerte Erscheinen dieses Debütromans und der verruchten Geschichte absolute Berechtigung. Doch werden selbst diejenigen, die ein Knistern in der sexuell triefenden Geschichte Adéles suchen, enttäuscht zurückbleiben. Die Autorin hat hier schließlich keine prickelnde Erotik zum Besten geben wollen, sondern Sex und Fleischeslust als Mittel zur Selbstzerstörung dargestellt. Vielleicht wird sich "All das zu verlieren" wenigstens als geeignetes Schulungsmaterial für gelangweilte und anfällige Ehefrauen eignen, womit der Roman seine Daseinsberechtigung erlangen könnte.

Christoph Mahnel 
17.06.2019

 
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Das Buch:

Leïla Slimani: All das zu verlieren. Aus dem Französischen von Amelie Thoma

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Sprecherin: Nora Waldstätten München: Der Hörverlag 2019 Spielzeit: 303 Min., € 22,00 ISBN: 978-3-8445-3299-9

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