Hörbücher
Ein Erstling allererster Güte
Der Westwall war ein Projekt Adolf Hitlers, das die Reichsgrenzen entlang einer über 600 Kilometer langen Linie schützen sollte. Die propagandistische Bedeutung war innen- wie außenpolitisch nicht zu unterschätzen, faktisch jedoch konnte der Westwall seine Aufgabe bekanntermaßen nicht erfüllen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele der Wallanlagen gesprengt, wodurch nach den vielen Kriegstoten weitere Menschenleben zu beklagen waren. Heute finden sich viele Bunkerruinen entlang der "Siegfried-Linie", wie der Westwall von den Alliierten auch genannt wurde. In einer dieser Ruinen tummelt sich im Thriller "Westwall" eine paramilitärische rechtsradikale Gruppierung, die einen ganz perfiden Anschlag plant, der Schmerz und Leid über viele Menschen und die Gesellschaft bringen soll.
Die Polizeischülerin Julia genießt ihr gutbürgerliches Leben als angehende Polizistin. Als junges Mädchen hatte sie mit ihrem Hippie-Vater in einer Kommune gelebt, bevor sie sich schließlich entschloss, als Staatsdienerin einen gänzlich anderen Weg einzuschlagen. Da kreuzt eines Tages auf dem Nachhauseweg ein attraktiver junger Mann namens Nick ihren Weg mit dem Resultat, dass die beiden wenig später im Bett übereinander herfallen. Am Morgen nach der Liebesnacht offenbart sich Julia der Rücken des schlafenden Liebhabers und ihr wird schlagartig klar, warum Nick so vehement versucht hatte, diesen ihren Blicken zu entziehen. Julia prangt ein riesengroßes Nazi-Tattoo entgegen. Von einer auf die andere Sekunde schwebt Julia in größter Lebensgefahr. Welches Geheimnis hat Nick ihr verschwiegen? Oder ist Nick gar auf sie angesetzt worden? Welche düstere Episode aus Julias Vergangenheit hat ihr Vater ihr bis heute vorenthalten?
"Westwall" lautet der Titel von Benedikt Gollhardts Debütroman. Dabei ist Gollhardt beileibe kein unbekannter Schreiberling, allerdings hat er sein Schaffen bisher auf das Verfassen von Drehbüchern konzentriert. Gerade für die TV-Serie "Türkisch für Anfänger", die in den Nuller Jahren zu den erfolgreichsten Serien in der deutschen Fernsehlandschaft gehörte, heimste Gollhardt zahlreiche Lorbeeren ein. Seinen Instinkt für Spannungsbögen und erstklassige Unterhaltung bringt der Autor gekonnt in "Westwall" ein. Nach einer sehr überschaubaren Anlaufzeit nimmt die Handlung immer mehr an Fahrt auf und läuft gegen Ende auf Hochtouren. Zartbesaitete Gemüter mögen anführen, dass Gollhardt zum Schluss einige Charaktere zu viel hat sterben lassen. Doch für einen Blockbuster hat "Westwall" seinen Tauglichkeitstest definitiv bestanden.
Für einen Debütroman ist "Westwall" mit vielen Vorschusslorbeeren an den Start gegangen. Neben der Buchausgabe erschien nämlich parallel sogleich eine leicht gekürzte Hörbuchausgabe, in der dank des superben Vortrags von Uve Teschner die Spannung gekonnt transportiert wird. Die knapp 500 Seiten der gedruckten Ausgaben mündeten dabei schließlich in die vorliegende, 700 Minuten umfassende Lesung, die auf einer mp3-CD Platz fand. "Westwall" ist ein gekonnter Thriller, der geschickt viele Themen miteinander kombiniert, die man bei Mainstream-Produktionen nicht unbedingt zusammen in einem Werk erwartet. Der Schreibstil Benedikt Gollhardts ist der Garant dafür, dass Tempo aufgenommen wird und kaum Zeit bleibt, die man zwischen den einzelnen Kapiteln verstreichen lassen möchte.
Natürlich ist man bei der Handlung gedanklich sofort bei der realen und unsäglichen NSU, dem neonazistischen Terrornetzwerk, das mit seinen Anschlägen die Republik zu Beginn dieses Jahrtausends zu unterminieren versuchte. Gollhardt verquickt seine am Westwall hausende Gruppierung dazu noch mit Verfassungsschützern, die allesamt ihre eigene Agenda verfolgen und die gefährlichen Ereignisse mit heraufbeschwören. So entsteht ein Mix aus unkontrollierbarer Terrorgruppe, grundsätzlich ehrbarer Polizei und vogelfreien Verfassungsschützern, der Leser und Hörer vom Prolog bis zum Epilog unter Dauerstrom hält. Eine Fortsetzung der Autorenkarriere Benedikt Gollhardts erscheint nach diesem erfolgreichen Erstling beschlossene Sache zu sein.
Christoph Mahnel
27.05.2019