Bildbände

Von der Zerbrechlichkeit unserer Gerüste

Im Rahmen der Festveranstaltungen zur 800-Jahr-Feier der Stadt Dresden wurde am 22. November 2006 das Oratorium "Wo der Herr nicht das Haus baut ..." von Günter Neubert in der Martin-Luther-Kirche Dresden unter der Leitung von Markus Leidenberger und unter Mitwirkung des Dresdner Bachchors uraufgeführt.

Weitere Aufführungen folgten in der Peterskirche Leipzig und in der Lutherkirche Radebeul. Eingerahmt und ergänzt wurden die Aufführungen jeweils von einer Ausstellung der vierzehn großformatigen Bilder, die Barbara Blum unter dem Titel "Von der Zerbrechlichkeit unserer Gerüste" zusammengefasst hat. Diese Bilder werden in dem vorliegenden Band vorgestellt, zusammen mit deren Vorgeschichte, Entstehung, Gestaltungstechnik und den Gedanken, die Barbara Blum dabei bewogen haben.

Selten haben Musik- und Kunstwerke so beziehungsreich in ihre Umgebung gepasst. Baustelle waren zur Zeit der Aufführung des Oratoriums sowohl die Martin-Luther-Kirche in Dresden als auch die Peterskirche in Leipzig, deren neuer Glockenturm am Tag der Aufführung eingeweiht wurde. Diesem äußerlichen Bezug entsprach die inhaltliche Verbindung der Texte des Oratoriums mit dem Buß- und Bettag, dem Tag der Uraufführung. Aufarbeitung von Schuld und Möglichkeiten der Umkehr sind die Themen dieses inhaltsschweren Oratoriums. Günter Neubert hat dafür Texte aus den Propheten-Büchern Jesaja sowie Sätze aus dem Psalm 127 übernommen und sie einigen weniger bekannten geistlichen Texten von Karl May gegenübergestellt.

Aus dieser Textfülle hat die Autorin Sätze ausgewählt und sie als Themen für ihre Bilder benutzt. Nach ihrer Meinung seien einige Sätze bestürzend aktuell, gerade weil wir heute meinen, die Grundfesten unseres Wertesystems neu erfinden zu müssen. Der Bilderzyklus setzt sich mit der Frage auseinander, wie weit unser eigenes Leben als ein ganz und gar selbst zu verantwortendes Bauwerk zu sehen ist. Woher nehmen wir das Fundament, woher das Gerüst für ein solches Bauwerk? Wie stabil sind diese selbst gefertigten Gerüste?, fragt sich die Malerin bzw. Autorin. Die Zerbrechlichkeit solcher Gerüste wird uns durch den Gang der Geschichte immer wieder vor Augen geführt. Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden mit seinem komplexen Gerüst wurde für die Autorin zum Anlass und Bild, über diese Zerbrechlichkeit nachzudenken.

Im Kapitel "Vorgeschichte" schildert sie ihren inneren Bezug zu Dresden, der vornehmlich durch ihre Mutter zustande gekommen war.

Die Begegnung mit dem Komponisten Günter Neubert gab den notwendigen Anstoß, um die geplante Bilderserie "Von der Zerbrechlichkeit unserer Gerüste" auch zu verwirklichen. Zu einem gemeinsamen Projekt entwickelten sich die Arbeiten der beiden Künstler dadurch, dass Barbara Blum einige Texte aus seinem Oratorium als Themen übernahm und in ihre Bilder integrierte.

Der ganze Zyklus wurde dann im Zusammenhang mit der Uraufführung des Oratoriums in der Lutherkirche Dresden und bei den beiden nachfolgenden Aufführungen in Leipzig und Radebeul gezeigt.

Die Texte aus dem Oratorium, die sie auswählte, sind in die Farbschichtungen eingearbeitet. Dabei ging es ihr nicht um Kalligraphie, nicht um die Kunst des schönen Schreibens. Es ist in ihrer eigenen Handschrift, alltäglich und kunstlos.
Zu allen Bildern gibt die Autorin ausführliche Erklärungen zu deren Bedeutung und Entstehungsgeschichte.

Den Schluss der Bilderserie bildet ein großes Gewebe aus unendlich vielen Farbfäden, feineren und gröberen. Ein Gewebe, das in allen Farben schimmert, lebhaft an manchen Stellen, verblichen an anderen, changierend zwischen dunkel und hell.

Den Jesaja-Text, ursprünglich als "Spruch des Herrn" in der Ich-Form, habe sie umgeformt in die Anredeform eines erkennenden Menschen. Er ist als leuchtender Streifen in eine dunkle Bahn hineingeschrieben, verwoben mit der Helligkeit ringsum, an manchen Stellen kaum lesbar und doch vorhanden, vielfach wiederholt, wie ein Mantra, ohne Anfang und Ende.

Das ist das Bild, das ihr einfiel, als sie versuchte, die Perspektive des kreisenden Adlers, der himmelhoch über der Erde schwebt, einzunehmen. Gedanken über die unerschöpfliche Vielfalt an Leben und deren unauslotbare Geschichten. Jeder Lebensfaden ist fest eingeknotet in das Ganze und unersetzbar, farbige Nuance in dem großen Lebensmuster unserer Welt.

Barbara Blum ist in Leipzig geboren; sie lebt seit 1969 bei Genf, ist verheiratet und hat vier Kinder. 1969 schloss sie das Studium der deutschen und französischen Literatur und Theaterwissenschaft an der Universität in München ab und ließ sich danach in Genf als Goldschmiedin und Emailleurin ausbilden. Fünfzehn Jahre lang arbeitete sie als freie Theaterregisseurin mit deutschsprachigen Jugendlichen und Erwachsenen in Genf. Der Schwerpunkt ihrer Theaterarbeit lag bei gesellschaftskritischer, moderner Klassik und Eigenproduktionen nach Romanvorlagen. In den 90er Jahren übernahm sie leitende Funktionen im kirchlichen Bereich und wandte sich auch mit ihren künstlerischen Arbeiten mehr und mehr dem kirchlichen Bereich zu.

Manfred Enderle
30.03.2015


Die Lesung im www.Deutsches-Literaturfernsehen.de finden Sie hier.

 
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Das Buch:

Barbara Blum: Von der Zerbrechlichkeit unserer Gerüste

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Frankfurt am Main: Weimarer Schiller-Presse 2014 63 S., € 12,80 ISBN: 978-3-8372-1460-4

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