Bildbände

Die menschliche Seite im unmenschlichen Schlachten

Zur hundertsten Jährung des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs im kommenden Sommer überschlagen sich derzeit die Buchverlage hierzulande mit verschiedensten Werken über den Beginn des großen Weltenbrands. Viele Bücher erheben dabei den Anspruch, als allumfassende Standardwerke daherzukommen, um sich eine Ausnahmestellung zu verschaffen. In den Bestsellerlisten scheint insbesondere Christopher Clarks hochgelobtes "Die Schlafwandler" bereits über Monate hinweg seinen Platz gefunden zu haben. Zumeist sind diese Werke jedoch mit etlichen hundert Seiten wahre Wälzer, die selbst dem vorgebildeten Leser so einiges an Durchhaltevermögen abverlangen.

Das vorliegende Werk aus der Feder Brigitte Hamanns wählt dagegen einen völlig anderen Ansatz. Mit nicht einmal zweihundert stark bebilderten Seiten liegt bei ihr der Fokus auf einer persönlichen Herangehensweise an die Materie. Hamann hat dabei einige Nachlässe von Kriegsbeteiligten aus ihrem privaten Umfeld durchforstet und für ihre Darstellung herangezogen. So findet sich im Familienarchiv der Hamanns ein imposantes Erbe aus der Feder des Vaters ihres verstorbenen Mannes, der seiner Nachwelt neben einem vollständig erhaltenen Tagebuch noch zahlreiche Briefe an Familienangehörige hinterließ. Weitere Quellen Hamanns sind die Korrespondenzen ihrer Tante, aber auch prominente Zeitzeugen wie Arthur Schnitzler und Käthe Kollwitz.

Die in Essen geborene Wahl-Österreicherin Brigitte Hamann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Historikerinnen zur Habsburger-Dynastie sowie zum Nationalsozialismus. Als gebürtige Deutsche, die nach der Heirat mit ihrem Wiener Ehemann zusätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft annahm, hat sie einen ganz besonderen Zugang sowie eine äußerst einmalige Perspektive auf die von ihr bearbeiteten geschichtlichen Epochen. Mit Werken wie "Hitlers Wien" und ihren Biografien von Erzherzog Rudolf oder Winifred Wagner hat sie hohe Standards für anspruchsvolle Geschichts- und Gesellschaftsliteratur gesetzt.

Hamann schildert in "Der Erste Weltkrieg: Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten" den Krieg aus der Sicht der Betroffenen, den Menschen, die unter dem Krieg litten, und nicht wie viele ihrer Kollegen aus der Perspektive von Kaisern, Königen, Feldherren oder Ministern. Strukturell erfährt das Buch eine chronologische Leitlinie durch die fünf Kriegsjahre 1914 bis 1918. Dabei wählt Brigitte Hamann jedoch keine stringente Erzählform der Ereignisse, sondern setzt thematisch einzelne Schwerpunkte, die sie durchweg in jeweils zwei Seiten umfassenden Kapiteln abhandelt. Auf diesen Doppelseiten führt sie in einem Text kurz und knapp die historischen Hintergründe auf und unterlegt diese durch Zitate aus den ihr vorliegenden Quellen. Dieser Text bildet jedoch nur den Rahmen für den visuellen und dieses Buch prägenden Teil eines jeden Kapitels, der Zeichnungen, Karikaturen, Fotos oder Plakate - meist propagandistischer Natur - enthält.

In knapp neunzig Kapitel hat Hamann die Geschichte des Ersten Weltkriegs eingeteilt. Dabei thematisiert sie natürlich kriegsentscheidende und allgemein bekannte Ereignisse wie "Das Attentat", den Untergang der "Lusitania" oder die Schlachten von "Tannenberg" und "Verdun", aber vor allem auch die alltäglichen Umstände dieser Schreckensjahre, die für die Mehrheit der Menschen essentieller als gewonnene Schlachten oder diplomatische Verhandlungen waren, etwa den "Steckrübenwinter", "Brot- und Mehlkarten", die "erste Kriegsweihnacht" oder die Situation der "Kinder im Krieg". Dabei sind es die zahlreichen Illustrationen der einzelnen Kapitel, die sich dem Leser einprägen und dieses Buch vom Rest abheben.

Das vorliegende Werk war vor zehn Jahren zum damals 90. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erstmals erschienen und ist nun zum traurigen runden Jubiläum im Piper Verlag neu verlegt worden. Großformatig, mit einem feinen Lesebändchen und in einem festen Einband kommt das Buch trotz seines schlanken Umfangs imposant daher und liefert in seiner inhaltlichen Schlichtheit dank des einzigartigen Bildmaterials tiefe Einblicke in das Leben der Menschen, die ihr Leben oder ihre Liebsten ließen, ohne zu wissen, dass ihnen die schwierigsten und grausamsten Zeiten noch bevorstehen sollten.

Christoph Mahnel
03.03.2014

 
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Das Buch:

Brigitte Hamann: Der Erste Weltkrieg: Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten

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München: Piper Verlag 2014
192 S., € 19,99
ISBN: 978-3-492-05621-2

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