Romane

Ein großes deutsches Gesellschaftspanorama , das bis in den letzten Winkel voller Leben steckt

DDR, 9. November 1989: Erik Werchow fährt mit dienstlichem Auftrag nach West-Berlin, abends soll er zurück über die Grenze. Doch in dieser Nacht braucht er keinen Pass mehr. Die Mauer ist offen. Dieser Tag ist ein neuer Anfang. Doch ist er das wirklich? Ist er das für alle? Und trägt nicht jeder sein ganzes Leben, die ganze Geschichte mit in die neue Zeit? Familie Werchow tut nach dem Mauerfall das, was alle tun: Sie macht weiter und beginnt zugleich neu. Matti, der frühere Grübler und Weltverbesserer kommt buchstäblich durch Himmelsguckerei zu einem Haufen Geld und wird sein eigener Unternehmer. Es dauert eine Weile, bis seine Zufriedenheit erschüttert wird. Derweil driftet Britta in die Verzweiflung, weil sie nicht mehr im Zirkus auftreten kann.

Nur Erik scheint mit der neuen Situation besser zurechtzukommen. Er wechselt bruchlos von der sozialistischen in die kapitalistische Werbung. Bewundernd und entsetzt schaut er auf seine junge Vorgesetzte Sybille Gapp, die wie er aus dem Osten stammt, aber mit harter Hand agiert und keinerlei Skrupel zu kennen scheint. Die Brüder und Schwestern ringen auf lebendige Weise mit sich und den Zeitläuften - und spiegeln mit ihren individuellen Schicksalen die Geschichte eines ganzen Landes. Vor dem Hintergrund des Niederganges der DDR müssen Willy Werchow, Direktor eines thüringischen Druckereibetriebes, und seine Kinder Britta, Erik und Matti persönliche und politische Konflikte er- und austragen. Und nicht immer wird dabei Rücksicht auf Verluste genommen ...

Unterhaltung von überwältigender Schönheit - bei der Lektüre von Birk Meinhardts Romanen haut es einen glatt um. Ein Lesevergnügen wie mit "Brüder und Schwestern" kriegt man nicht alle Tage in die Hand. Dem Autor gelingt mit dem zweiten Band dieses "gewaltigen deutschen Epos" (Ursula März) ein absolutes Highlight im Bücherregal. Ab dem ersten Satz nimmt die Story einen vollkommen gefangen. Für ein paar Stunden unternimmt man eine Reise in die frühere Vergangenheit unseres Landes und erlebt einschneidende Geschichtsmomente aus einer sehr persönlichen Sicht. Meinhardt erzählt die Geschichte einer Familie, die nach der Wende einen Weg in die neue Gesellschaft sucht und sich selber fremd zu werden droht. Dieses Lesevergnügen ist so anders als alles andere.

Mit "Brüder und Schwestern" gelingt Birk Meinhardt so hohe Erzählkunst, wie man diese seit Uwe Tellkamps "Der Turm" nicht mehr zwischen zwei Buchdeckeln hat finden dürfen. Hier erfährt man Literatur, die einen ganz schwindlig macht. Innerhalb weniger Sätze ist man ganz hin und weg von der Geschichte und von Meinhardts Worten. Poetischer kann Prosa definitiv nicht sein.

Susann Fleischer
06.03.2017

 
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Das Buch:

Birk Meinhardt: Brüder und Schwestern. Die Jahre 1989-2001

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München: Carl Hanser Verlag 2017
672 S., € 26,00
ISBN: 978-3-446-25279-0

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