Romane
Literatur von der etwas anderen Sorte
Paul verdient sein Geld als Dichter. Sein Lyrikband "Alles Reim" verkauft sich zwar längst nicht so gut wie ein Buch von beispielsweise John Keats oder S.T. Coleridge, aber es reicht aus, um sich wenigstens keine finanziellen Sorgen machen zu müssen. Derzeit schreibt Paul an "Kummermütze". Er hofft, dass auch dieses Gedichtwerk großen Anklang bei den Lesern finden wird. Zuvor allerdings muss es erst einmal fertig werden. Blöd nur, dass Paul unter eine akuten Schreibblockade leidet. Seit Freundin Rosslyn ihn verlassen hat, ist Paul verzweifelt. Er liebt Roz noch immer von ganzen Herzen und plant, sie zurückzuerobern. Kein leichtes Vorhaben. Schließlich ist Pauls Konkurrent verdammt gutaussehend und kein so altes Eisen wie er mit seinen beinahe "fünfundfuckingfünfzig" Jahren.
Die "Beziehungsprobleme" mit Roz sind aber nicht das Einzige, was Paul schwer zu schaffen macht. Seit mehr als dreißig Jahren macht er sich Vorwürfe, dass er einst sein Fagott quasi für einen Apfel und ein Ei verscherbelt hat. So kurz vor seinem Geburtstag beschließt Paul, nicht mehr im Selbstmitleid zu versinken. Kurzerhand lädt er Roz zu einem Picknick ein. Und außerdem besorgt er sich eine Gitarre. Er will fortan nur noch Pop- und vor allem Protestsongs schreiben. Während Paul auf seinem alten Bauernhof in Maine darüber nachdenkt, erheitern allerlei tröstliche Alltagsvergnügen sein schwankendes Gemüt: sein Traum-Rasensprenger, die Saiten seines Eierschneiders, die einen fast perfekten Mollakkord ergeben, ein Workoutprogramm mit Pfiff sowie einige Experimente mit Tabak ...
Unterhaltung, die alles ist, aber ganz sicher nicht nullachtfünfzehn - genau diese bekommt man mit den Büchern von Nicholson Baker in die Hand. Während der Lektüre von "Das Regenmobil" amüsiert man sich so sehr, dass man glatt von der Couch zu plumpsen droht. Denn die Story ist gewürzt mit einer extragroßen Portion Humor. Und trotzdem wird man auf (fast) jeder Seite von Bakers philosophischen Gedanken überrascht. Noch lange nicht beim letzten Satz angelangt, fühlt sich ein Stück weit (lebens)klüger als noch einige Stunden zuvor. Dieses Buch bedeutet also nicht nur ein geniales Lesevergnügen. Darüber hinaus ist es ein kleiner Wegbegleiter durch das Leben. Der US-amerikanische Autor schreibt über die Höhen und Tiefen des Lebens so mitreißend wie niemand vor oder nach ihm.
"Das Regenmobil" ist definitiv eine der ungewöhnlichsten Geschichten, die man zwischen zwei Buchdeckeln zu finden vermag. Nicholas Baker erweist sich hier einmal mehr als ein brillanter Erzähler. Seine Romane erinnern an wohlklingende Kompositionen. Diese sind ein besonders kostbarer literarischer Schatz. Und garantiert niemand darf sich diese entgehen lassen.
Susann Fleischer
18.01.2016