Romane

Wenn aus Lust Sexsucht wird …

Als eine Art "sexuelle Biographie" zeichnet das Buch das Leben der titelgebenden Anna nach, die als junges Mädchen, gerade erst von zu Hause fort, Anfang der 70er Jahre eine Ausbildung in den österreichischen Alpen beginnt und ihre erwachende Sexualität und Lust entdeckt. Schnell wird ihr klar, welche Wirkung sie auf andere Männer hat – aber auch, welche Wirkung Sexualität auf sie hat. Nicht nur Spaß am Sex und eine tiefgehende Befriedigung werden ihr Antrieb, sondern immer mehr der Drang nach Begehrtwerden, Akzeptanz und Nähe. So ist es nur vordergründig das nächste schnelle Abenteuer, was sie reizt, sondern der Sex nur Mittel zum Zweck, gleichwohl jedoch suchtartig und zwanghaft.

Fast unausweichlich scheint es, dass Treue, Selbstbeherrschung und Vorsicht dabei zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Anna merkt nach und nach, dass selbst bei den Menschen, die sie liebt, sie nicht in der Lage ist, eine normale Beziehung zu führen, sondern immer denen am meisten wehtut, die ihr alles bedeuten. Sexuell für alles zu haben, was im Buch auch eindringlich und ohne falsche Scham detailreich erzählt wird, wird Anna zwar der Traum eines jeden Single-Mannes, aber der Albtraum für jeden Mann, der an einer tiefgehenden Beziehung zu ihr interessiert ist.

Letztendlich macht sie sich jedoch selber damit nur unglücklich, und es braucht Jahrzehnte, bis sie merkt, dass sie nicht etwa einen schlechten Charakter hat und einfach nur ein "billiges Flittchen" ist, sondern an einer psychischen Krankheit leidet, die als "histrionische Persönlichkeitsstörung" diagnostiziert wird und den Betroffenen nur wenig Hoffnung auf Heilung gibt. Diese äußert sich oft, wie im Fall von Anna, durch übertrieben triebhaftes Sexualverhalten und die Unfähigkeit zu festen persönlichen Bindungen.

Der Titel legt es nicht zwingend nahe, aber dennoch hat Anna - Liebe, Lust und Leiden durch eben diese Problematik einen ernsten und tragischen Hintergrund: Gerade im Bereich der psychischen Erkrankungen gibt es noch allzu viele Krankheitsbilder, die wenn überhaupt nur Experten bekannt sind und von der Gesellschaft weitgehend unerkannt und vor allem nicht anerkannt sind. Das liegt oft in der Natur der Sache, denn während man bei einem Beinbruch oder einer Grippe offensichtlich ärztlicher Hilfe bedarf, scheuen viele immer noch den Gang zu einem Arzt, sobald es sich um psychische Leiden handelt, gerade hierzulande.

Selbst wenn eine Verhaltensstörung überhaupt einmal von den Betroffenen erkannt wird (und das ist nicht immer selbstverständlich), fehlt oft der letzte Schritt, sich professionelle Hilfe zu suchen. Zu groß oft die Scham, die Angst, als "verrückt" zu gelten, oder der Gedanke, "Was soll der schon machen …" All diese Ängste, Selbstzweifel und Unsicherheiten sind es, die sehr eindringlich und unmittelbar der Protagonistin das Leben schwermachen. Aus der Ich-Perspektive erzählt und eine Zeitspanne von über fünf Jahrzehnten abdeckend, erhält ihre Geschichte eine Intensität und erzählerische Wucht, die detailreich und unverblümt Mitgefühl empfinden lässt mit jemandem, von dem man sich vielleicht ansonsten erschreckt abwenden würde. So ist Anna nicht nur erotische Erzählung und spannende Biographie, sondern Psychogramm und Charakterstudie zugleich.

Kevin Eule-Manns
08.12.2014

 
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Das Buch:

Andreas Huber: Anna – Liebe, Lust und Leiden

Frankfurt: August von Goethe Literaturverlag 2014
758 S. € 28,80
ISBN: 978-3-8372-1498-7

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