Romane

Garant für Frieden und Freiheit – oder Mörderbande?

Der Obergefreite Rudi Breuer leistet in den sechziger Jahren seinen freiwilligen Wehrdienst in der Bundeswehrkaserne Neustadt ab. Er lernt Freifallspringen, verliebt sich in Judith, die ein Gasthaus im Schwarzwald betreibt, und erlebt Kameradschaft und Ränke unter den Soldaten.

Als Fahrer des Kompaniechefs und Ordonnanz an der Theke ist er der Letzte, der Feiern und Empfänge verlässt, er ist aber auch der Erste, der von Klatsch und Tratsch erfährt. Er erlebt, wie Wendig, der Stellvertreter des Komman-deurs, immer wieder von geistig-seelischen und ethisch-sittlichen Werten und der westlichen Wertegemeinschaft spricht, aber dennoch ständig versucht, den beliebten Kompaniechef zu diskreditieren. Er hört Bartels immer wieder von Ethos, Pflichtbewusstsein und Pflichterfüllung des preußischen Offiziers reden - und danach betrunken durch die Gänge torkeln.

Und auf einer Versammlung des PAO, des Politischen Arbeitskreises der Oberschulen, erlebt er hautnah den blanken Hass, der den Soldaten von der gerade entstehenden Friedensbewegung entgegenschallt. Der Jugendoffizier, den Leutnant Nagel bei dieser Veranstaltung vertritt, war kurz zuvor zusammengeschlagen worden. Die Soldaten werden als Mörderbande und Berufsschlächter tituliert und immer wieder angegriffen.

Wie Nagel sagt: "Und für so ein Scheißvolk sollen wir unser Leben opfern!" Wenig später wird sich sein Fallschirm bei einem Sprung sich nicht öffnen ...

Harald Heidemann lässt die "armen Soldaten" selbst zu Wort kommen. Sie sehen sich als Garant für Frieden und Freiheit, werden jedoch ausgerechnet von den Vorläufern der Friedensbewegung massiv angegriffen - pikanterweise eben auch körperlich. Sind Aussagen wie Mörderbande, Berufsschlächter, Training für den Massenmord noch von dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt oder handelt es sich um massive Beleidigungen?

Die Diskussion um das Für und Wider der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch. Heidemann hinterfragt Kollektivschuld und -scham: Muss, wer stolz auf Goethe und Schiller, Beethoven und Bach ist, sich auch für Hitler und Himmler schämen? Deutschland lebt nach zwei verlorenen Kriegen mit einer Kollektivschuld, die noch immer das Alltagsleben beherrscht, und muss seine Position in der Welt erst wieder finden. Und die Soldaten geraten ins Kreuzfeuer zwischen Pazifismus und NATO-Politik, Friedenswillen, Ver-teidigung und Angriff.

Heidemann schafft auf wunderbare Weise den Spagat zwischen der auch heute noch sehr ernsten und brandaktuellen Thematik und einer humorvollen Erzählung über das Alltagsleben des "gemeinen Soldaten" - von Esak und Kasak (der evangelischen und katholischen Sündenabwehrkanone) über den Stöhr, der ins Wasser fällt (und dabei die Kamera rettet), bis hin zu ironischen Seitenhieben auf die Wichtigkeit von "AGM" (Anzug - Gruß - Meldung) gegenüber einer modernen Führung durch die Offiziere. Und auch einige Gedankenspielereien der alten Griechen regen zum Schmunzeln an.

Annette Sunder
16.12.2013


Die Lesung im Deutschen Literaturfernsehen finden Sie hier.

 
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Das Buch:

Harald Heidemann: Arme Soldaten

Frankfurt: August von Goethe Literaturverlag 2013
254 S., € 19,80
ISBN: 978-3-8372-1342-3

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