Romane

Philip Marlowe – kompakt und vollständig

"Marlowe, ich fleh Sie an, Marlowe, finden Sie Mabel", so besang 1987 Heinz-Rudolf Kunze einen der prägendsten Privatdetektive der Kriminalliteratur. Bereits Kunze wusste, dass die Suche nach einer verschollenen Frau bei Philip Marlowe am besten aufgehoben ist. Raymond Chandler schuf die Figur des coolen und abgebrühten Ermittlers und widmete ihm insgesamt sieben Romane, die nun in einer hochwertigen Taschenbuchbox erschienen sind. Auf knapp 2.000 Seiten kann sich der Leser gemeinsam mit Philip Marlowe ins düstere Los Angeles der Dreißiger und Vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts stürzen.

Im Jahre 1938 erschien mit "Der große Schlaf" der erste Roman Chandlers mit Marlowe als Hauptfigur, nachdem er zunächst schon einige Kurzgeschichten mit Marlowe veröffentlicht hatte. "Der große Schlaf" ist darüber hinaus durch die erfolgreiche Verfilmung mit Humphrey Bogart einem größeren Kreis bekannt geworden. Darin sorgt sich ein alter und reicher General um seine beiden Töchter. Philip Marlowe soll sich um die beiden gar nicht so unschuldigen Damen kümmern und gerät dabei in einen Strudel verschiedener Verbrechen. In "Lebewohl, mein Liebling", dem zweiten Philip-Marlowe-Roman, wird der Privatdetektiv - ähnlich wie in Heinz-Rudolf Kunzes Lied - darum gebeten, eine Frau zu finden. Als Mabel fungiert in diesem Falle die Tänzerin Velma. Der Auftraggeber ist ein entlassener Häftling, der Marlowe mit diesem Job in die Bredouille bringt.

"Das hohe Fenster" sieht für Philip Marlowe neben der Suche nach einer verschwundenen Sängerin zusätzlich vor, eine seltene und verschollene Münze wiederzufinden. "Die Tote im See" ist nicht nur der Titel von Chandlers viertem Philip-Marlowe-Roman, sondern vermutlich auch Crystal Kingsley. Diese war angeblich mit ihrem Lover durchgebrannt - so zumindest der Kenntnisstand ihres eigenen Mannes. Merkwürdig ist dabei nur, dass der Nebenbuhler davon nichts weiß. Es ist wieder einmal an Marlowe, Licht ins Dunkel bzw. in besagten See zu bringen. In "Die kleine Schwester" sucht selbige ihren großen Bruder in Los Angeles. Da sich Marlowe bereits in den vergangenen Fällen sehr erfolgreich im Suchen und Auffinden von Menschen hervorgetan hat, stürzt er sich auch unverblümt in dieses Abenteuer.

Seine beiden letzten Philip-Marlowe-Romane stellte Raymond Chandler erst in den letzten Jahren seines Lebens fertig: In "Der lange Abschied" muss Marlowe einem Freund beiseite stehen: Terry Lennox. Dieser hat nicht nur ein Alkoholproblem, sondern auch eine ermordete Ehefrau, die aufgrund ihrer Millionenschwere mögliche Mordmotive nahelegt. Folglich hat die Polizei rasch Terry Lennox im Visier. Kann ihm Philip Marlowe seine Unschuld beweisen? Auch in seinem allerletzten Roman "Playback" ist Marlowe wieder einmal damit beschäftigt, eine äußerst attraktive Dame zu beschatten. Als jedoch Menschen sterben, wird der pikante Auftrag so richtig brisant.

Verglichen mit anderen Kommissaren oder Ermittlern wie dem Pariser Jules Maigret hat Raymond Chandler seinen Protagonisten nur in recht wenige Fälle geschickt. Doch haben diese sieben Romane ausgereicht, um mit Philip Marlowe den Prototypen des Privatermittlers zu schaffen, der seither vielfach kopiert, doch praktisch nie erreicht worden ist. Dies mag ähnlich wie bei Simenons Maigret vor allem daran liegen, dass Chandler mit Philip Marlowe einen präzisen und höchst passenden Charakter gezeichnet hat und in seinen Romanen eine absolute Treffsicherheit in Sachen Wortwahl an den Tag legt. Man hat als Leser stets das Gefühl, dass man bestimmte Situationen und Verhaltensweisen einfach nicht treffender beschreiben kann.

Raymond Chandler hatte sich viel Zeit gelassen, um Philip Marlowe auf den Weg zu bringen. Er war nämlich bereits 51 Jahre alt, als er seinen ersten Roman mit dem Privatdetektiv veröffentlichte. Innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten schuf er bis kurz vor seinem Tode sieben Romane, die der begeisterte Leser in der vorliegenden Box wiederfindet. Chandlers Leben vor seiner kurzen, aber höchst erfolgreichen Schriftstellerkarriere war durchaus abwechslungsreich: Er verdingte sich als Journalist und Buchhalter, kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg und war später sogar recht erfolgreich im Ölgeschäft. Man kommt ob dieser Vita natürlich nicht umhin zu fragen, wie viel Raymond Chandler in Philip Marlowe steckt - diesem absoluten Charakter mit seinen prägnanten Eigenarten. Wäre Chandler etwa selbst auch so ein abgebrühter und cooler Ermittler gewesen, mit einem großen Faible für Frauen ausgestattet und als einsamer Kämpfer brillierend?

Der Diogenes Verlag setzt mit der vorliegenden Box sämtlicher Philip-Marlowe-Romane sein bekanntes und von den Lesern geschätztes Vorgehen, Anthologien großer Literaten zu veröffentlichen, fort. Nach beispielsweise Joseph Roth oder Georges Simenon folgt nun Raymond Chandler. Der Zürcher Verlag setzt damit legendären Autoren und deren Erbe einen würdigen Rahmen und erlaubt seinen Lesern, die Werke komprimiert zu erwerben und genießen zu können. Die sieben in einer stabilen Papp-Box gelieferten Taschenbücher glänzen mit gelungenen und der Ära Marlowes angemessenen Titelbildern, während die Bücher ansonsten im bekannten und klassischen Chic des Diogenes-Weiß gehalten sind.

Christoph Mahnel
23.09.2013

 
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Das Buch:

Raymond Chandler: Die Philip-Marlowe-Romane. Aus dem Amerikanischen von Urs Widmer, Gunar Ortlepp u.a.

Zürich: Diogenes Verlag 2013
1920 S., € 59,00
ISBN 978-3-257-23900-3

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