Romane

Zeichen einer zwitschernden Zeit

"Der Pirol, kein M?rchen" ist nach "Stirnrunen" Gundo Vents zweiter Roman, und der Autor hat ihn seinen ehemaligen Sch?lerinnen und Sch?lern gewidmet. Es ist beileibe kein Buch, das man ?berfliegen und an dem man einfach so nippen kann. Wie bei jedem Werk, das kafkaesk verschlungene Z?ge tr?gt, ist leserseitig viel Aufmerksamkeit und Zuwendung verlangt. Wer also das Buch mit Gewinn lesen will, sollte seiner Neugier freien Lauf lassen, sollte den m?andrierenden S?tzen folgen und die vielen flatternden Bilder - einzeln oder in ihrer Gesamtheit - interpretieren wollen.

Vorab zwitschert einem das Bild eines in Osteuropa besonders gut vertretenen Vogels entgegen. Das Pirol-M?nnchen f?llt auf durch sein grelles Gelb, das sich von dem Schwarz der Schwanzfedern stark abhebt. Im Normalfall h?rt man einen leise zwitschernden Gesang. In der Aufregung aber wird daraus ein helles Gekr?chze, und wenn der Pirol seine Sippschaft warnen will, klingt er wie ein Specht. Mit Vorliebe h?lt sich der wundersch?ne Vogel im Kronendach hoher B?ume auf, wo er den ?berblick genie?t. Ein schriller Vogel, bei dem die erfahrenen Weibchen mit zunehmendem Alter sich visuell dem M?nnchen angleichen.

Und: Der Pirol ist ein Zugvogel. Ein lebendes "Musikinstrument" also, das im Rahmen einer "Band" von hier nach dort verlegt wird. Musik und Show sind denn auch das augen- und ohren(auf)f?llige Thema von Vents Buch. Es ist von einem "Kulissenleben" die Rede, vom umtriebigen Wirken, das in einer auffallend kompress gehaltenen Sprache geschildert wird. Man wird das Buch deshalb gerne langsam und mit Bedacht aufnehmen wollen. "ACER MTW" spielt dabei eine zentrale Rolle. Es ist die Welt des Showbusiness oder - weiter gefasst - des Austauschs unter kommunizierenden Menschen der modernen Welt, wenn es denn ?berhaupt ein echter Austausch ist.

Da ist es gut m?glich, dass es zu diesem gut hundert Seiten z?hlenden Buch genau so viele Interpretationen gibt, wie es Leserinnen und Leser gibt. Unter diesen wird es ein interessantes Entr?tseln und Schl?sse-Ziehen geben, f?r die der Autor nur vereinzelt bestimmte Wege vorgibt. Klar: Wir lesen im Kosmos der heutigen Gesellschaft, erleben die technisch gest?tzten Verf?hrungen, die in der Masse ihre kaum absch?tzbare Wirkung zeitigen. Von "verh?ngnisvollen Verfahrenheiten" ist auf dem Buchdeckel die Rede. Aber der Roman tritt nur los und serviert keine Aufl?sungen zu den gelesenen R?tseln. Gl?cklicherweise nicht, denn so erst entfaltet er seine volle Kraft.

So kommt es bei den meisten Leserinnen und Lesern wohl zu zwei inneren T?tigkeiten. Zuerst ein Sich-Vertiefen in diese klirrende Welt, die sich als Scheinwelt anbietet, aber letztlich doch selber Welt ist. Dann ein Suchen und Sinnen, mit dem man das Buch weglegen wird. "Der Pirol, kein M?rchen" ist ein interessantes, immer auch geheimnisvolles Buch, das von Kapitel zu Kapitel zieht, so wie es der Pirol tut, wenn er in die fernen Brutgebiete zieht. Hinunter ins s?dliche Afrika - so viel Fl?gelkraft sollten die Leserinnen und Leser schon mitbringen.

Ronald Roggen
19.11.2012

 
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Das Buch:

Gundo Vent: Der Pirol, kein Märchen

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2011
104 S., € 12,40
ISBN: 978-3-8372-1015-6

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