Romane
Das Labyrinth des Grauens
... möchte man diesem von der Umschlaggestaltung und Titel her recht anheimelnden Buch, das eine gemütliche Lektüre – wenn auch nicht gerade mit Bienenbrot und Glühkaffee – verspricht, untertiteln, nachdem man es schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung, als hätte man die Abenteuer des Lindwurms Mythenmetz eigens durchlebt und durchlitten, aber auch mit einem leichten Gefühl von Wehmut, dass diese Abenteuer nun ihren Abschluss gefunden haben sollen, zur Seite gelegt hat – jenem Zustand nachtrauernd, den auch der Buchling zu verspüren scheint, welcher dem Leser in der vertrauten Gebärde des Aufgeschrecktwordenseins aus hoch spannendem Lesevergnügen auf dem Buchdeckel entgegenstarrt.
Die Reise in "Die Stadt der träumenden Bücher" - nach Buchheim, dem Ort jener zwischen Leben (Gelesenwerden) und Tod (langsamem Verrotten) dahindümpelnden antiquarischen Schätze - ist ein erneuter Ausflug in das sagenumwobene Land, das den eigentümlichen Namen "Zamonien" trägt.
Es ist die Suche nach dem Autor des besten Textes, der je geschrieben worden ist, die den Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz, noch jung an Jahren (77, um genau zu sein), nach dem Tod seines Dichtpaten Danzelot von Silbendrechsler von der Lindwurmfeste aufbrechen lässt, mit dem Ziel, sich von dem bis dato noch unbekannten Schriftstellergenie in der Kunst des Schreibens unterweisen zu lassen. Und so ist "Die Stadt der träumenden Bücher" selbst an vielen Stellen eine poetologische Reflexion über das Schreiben und über das, was gute Literatur ausmacht, verbunden mit der satirischen Kritik an jenem durch Macht und Geld bestimmten Literaturbetrieb, der in der Haifischmade Phistomefel Smeiks zu unheimlich-komischer Präsenz geronnen ist.
Dem Sprachwitz und der Fabulierlust Moers, mit der er der Alltagsrealität wieder einmal auf fantastische Weise zu Leibe rückt, folgt der Leser gern bis in die Fußnoten hinein, auch wenn sie wie "Bücher im untersten Regal" sind, die sich normalerweise keiner durchliest, weil "er sich bücken muß". Womöglich mag der ein oder andere Leser entnervt weiterblättern – das Kapitel über das "Ormen" wird jedenfalls den Beifall all jener finden, die sich ein wenig in der Literaturgeschichte auskennen und mit Akribie die wirklichen Namen der von den Buchlingen dargestellten Dichter (wie Ojahnn Golgo van Fontheweg oder Ali Aria Ekmirrner) zu entschlüsseln versuchen.
Erstaunt ist der oft als "treuer Freund" einfühlsam angesprochene Leser über die Unverwüstlichkeit, mit der sich ein abstruser Einfall, nämlich die Vorstellung des Dichtpaten Danzelots, er sei "ein Schrank voll ungeputzter Brillen", fast wie ein roter Faden durch das Buch zieht (was aber letztendlich nur ein Beispiel dafür ist, wie Moers alle Details zu einer bis ins Letzte durchkomponierten Welt verknüpft), oder die Tollkühnheit, mit der Moers seinen Helden in unentrinnbar scheinende Situationen schleust, um ihn dann mittels der Kraft der dichterischen Fantasie – der Leitspruch des Aurins "Tu was du willst" lässt grüßen – in einer fast ans Unwahrscheinliche grenzenden Art und Weise wieder daraus zu erretten.
Was diesen Roman neben dem gefühlvollen Wechsel von spannungs- und temporeichen Abschnitten mit solchen, die sich der fantasievollen Beschreibung der Ober- und Unterwelt von Buchheim widmen, so anziehend und unterhaltsam macht, ist nicht zuletzt die optische Aufbereitung, die dem Ganzen eine fast dramatische Gegenwärtigkeit verleiht – so etwa wenn der Held ein Buch aufschlägt, in dem in kleinster Schrift hunderte Male "Sie wurden soeben vergiftet." steht (woraufhin er für einige Stunden außer Gefecht gesetzt wird) und der Leser selbst gerade gebannt auf diese Zeilen blickt... Dies ist ein höchst gefährliches Buch!
Nicole Stöcker
01.09.2004