Romane

Im eigenen Netz gefangen

Die Kritiken zu Jostein Gaarders neuestem Werk "Der Geschichtenverk?ufer" reichen vom Verriss bis hin zu unverhohlenem Neid, dass einem nicht selbst die Story eingefallen ist. Es ist die Geschichte eines Mannes, der von Kindheit an von seiner Phantasie quasi ?berschwemmt wird. Er besitzt so viel davon, dass er auf Sozialkontakte verzichten kann, die st?ren blo? in einer Welt, die sich unabl?ssig reproduziert in Millionen von Varianten. Eine Konstante gibt es im Leben Petters: den kleinen Mann mit dem Stock, den nur er sehen kann. Und nat?rlich die F?higkeit, Plots auszuspucken wie ein gut gef?llter Kaugummiautomat.

Schon recht fr?h erkennt Petter das Potential: Er verkauft Ideen an seine Mitsch?ler, staffelt nach Noten und besitzt so eine gute M?glichkeit, seinen ?berschuss an Phantasie in relativ sinnvolle Bahnen zu lenken. Petter hat keinerlei Ambitionen, selbst als Schriftsteller hervorzutreten, das langweilt ihn ma?los. Stattdessen zieht er hinter den Kulissen die F?den des Literaturbetriebs ? je nach Nachfrage verkauft er eine Idee, ganze ausgearbeitete Plots, Dialoge, Fetzchen einer gro?en Patchworkdecke, an der Petter sein Leben lang arbeitet und in die er sich letztlich selbst eingen?ht hat. Das Schicksal schl?gt zu und dieses Mal ist es nicht Petter, der sich die Story ausdenkt, diesmal ist es das reale Leben.Egal, ob man die Geschichte nun ein bisschen an den Haaren herbeigezogen findet oder nicht ? ich habe mich beim Lesen k?stlich am?siert. Weil es n?mlich gar nicht so undenkbar ist. Weil Gaarder den Literaturbetrieb aus den Kulissen heraus beleuchtet. Weil er klar sagt, wie schrecklich langweilig und phantasielos wahre Autorenmassen sind, wie aufgeschmissen sie herumkrebsen ohne eine z?ndende Idee. Gaarder beschreibt sie alle, die mittelm??igen, die sich durch flei?iges Weiterbohren dicker Bretter doch zu einem gewissen Lebensunterhalt hinschreiben, die Genies, die mal einen Volltreffer landen und danach wie ein Drogens?chtiger auf der Suche nach dem n?chsten Schuss durch die Welt irren und verzweifelt darauf hoffen, ihren Einmalsieg zu wiederholen, um die Ger?chte zu ersticken, sie seien Eintagsfliegen. Dazwischen die Menge der Gebrauchsliteraten, die f?r Zeitungen und Zeitschriften schreiben als L?ckenf?ller zwischen Kochrezept und Klatschtratsch, um dem kulturellen Anspruch des Blattes irgendwie wenigstens dem Buchstaben nach gerecht zu werden.

Petter ist unversch?mt, Petter ist frech, er ist eine Nervens?ge und man m?chte ihm seine Phantasie?lquelle abfackeln. Das ist aber reiner Neid der Besitzlosen, denn welcher Autor tr?umt nicht von einem nie versiegenden Strom genialer Ideen? Es sind einige gute Stories angerissen, vorstellt, in den Raum geworfen ? mal sehen, wann sich jemand die M?he macht (nach einer angemessenen Frist, in der man aufs Vergessen der Leser hofft wom?glich) und die eine oder andere Sache ausarbeitet ...

Dieser Petter zeigt die Scheinwelt der Autoren wie durchs Mikroskop. Jeder, der im Literaturbetrieb ein R?dchen an irgendeiner Stelle ist, erkennt sich wieder. Man kann seine diebische Freude daran haben, weil es eben auch ein echtes Lesevergn?gen ist. Wem die Galle hochkommt, hat selbst Schuld. Ideale Lekt?re f?rs Wochenende. Und wenn Sie danach einen kleinen Kerl mit Filzhut sehen, sollten Sie sich keine Sorgen machen. Das ist ganz normal.

csc
01.01.2003

 
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Das Buch:

Jostein Gaarder: Der Geschichtenverkäufer

CMS_IMGTITLE[1]

München: Hanser Verlag 2002
272 S.
ISBN: 3-446-20210-2

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