Romane

Was bleibt

F?r sein Buch "The Sense of an Ending" hat Julian Barnes letztes Jahr den Booker Prize, den wichtigsten britischen Literaturpreis, erhalten. Und das absolut zu Recht.

Anthony Webster, genannt Tony, ist im Ruhestand angekommen. Sein Leben ist bisher ohne gro?e H?hen und Tiefen verlaufen. Studium in Bristol, dann Heirat, ein Kind und ein Arbeitsleben lang in der Kulturverwaltung. Auf einige Jahre ruhiger Ehe war eine friedliche Scheidung gefolgt. Zu seiner Tochter hat er ein freundliches Verh?ltnis. Er liebt die Ereignislosigkeit, das sichere Leben und versucht, m?glichst keinen Schaden anzurichten. Seine Begr?ndung: Er ist friedfertig. In Wirklichkeit ist er wohl feige.

Tony f?hrt uns zur?ck in das London der 1960er Jahre, als er zusammen mit seinen Freunden Collin und Alex die letzte Schulklasse besucht. Die Halbstarken halten Schulsport f?r einen "kryptofaschistischen Plan zur Unterdr?ckung des Sexualtriebes" und ziehen ?ber ihre Familien und das politische System her. Ihr Lieblingsausdruck ist "philosophisch evident", ihre Lekt?re Camus und Nietzsche. "Ja, nat?rlich waren wir pr?tenti?s - wozu ist die Jungend sonst da?" Beeindruckt zeigen sie sich allein vom neuen Sch?ler, Adrian Finn. Er ist ein hochintelligenter Junge und die vier freunden sich miteinander an.

Dann bringt sich ihr Mitsch?ler Robson um. Er hat sich erh?ngt, anscheinend weil seine Freundin ein Kind von ihm erwartet. Zur?ckgelassen hat der Jugendliche nur einen Abschiedsbrief mit den Worten "Tut mir leid, Mama". W?hrend sich Collin, Alex und Tony eher dar?ber ?rgern, dass Robson im Gegensatz zu ihnen unbestreitbar Sex gehabt hat und sein Suizid zu unk?nstlerisch, zu unphilosophisch gewesen ist, besch?ftigt sich Adrian mit der unzul?nglichen Dokumentation des Selbstmords und der daraus resultierenden Unkenntnis ?ber die Wahrheit: "Nichts kann eine Aussage von Robson ersetzen."

Wahrheit und Selbstt?uschung

Nach der Schulzeit trennen sich die Wege der jungen M?nner. Adrian bekommt ein Stipendium f?r Cambridge, Tony studiert in Bristol und findet eine Freundin, Veronica. Nach einiger Zeit trennen sich die Wege des Paares relativ unspektakul?r. Dann bekommt Tony von seinem Freund Adrian einen Brief, in dem dieser darum bittet, mit Veronica gehen zu d?rfen. Er l?sst sich seine Kr?nkung nicht anmerken und gratuliert per Postkarte.

Nach beendetem Studium erf?hrt Tony, dass Adrian tot ist. Er hat sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten, an der T?r ein Zettel: "Nicht reinkommen - Polizei rufen - Adrian". In einem Abschiedsbrief erkl?rt der Philosophie-Doktorand, frei ?ber sein Leben bestimmen zu wollen.

Jahrzehnte sp?ter vererbt Veronicas Mutter dem inzwischen 65-j?hrigem Tony 500 Pfund und Adrians Tagebuch, in dem dieser seine letzten Tage dokumentiert. Allerdings ist es im Besitz von Veronica, die es nicht herausr?ckt. "Nichts kann eine Aussage von ihm ersetzen." Das hatte Adrian damals ?ber den Selbstmord ihres Mitsch?lers gesagt und Tony hofft auf Wahrheiten und Erkenntnisse durch eine Aussage von Adrian. Und tats?chlich erkennt er auch ohne Tagebuch nach und nach, dass seine Erinnerungen an damals nicht der Realit?t zu entsprechen scheinen.

Julian Barnes befasst sich in seinem Roman "Vom Ende einer Geschichte" philosophisch mit den Sch?den, die Menschen einander - absichtlich oder unabsichtlich - zuf?gen, indem sie in das Leben anderer eingreifen. Wie viel Schuld kann ein einzelner an Ereignissen haben, an denen mehrere beteiligt sind? Wie weit kann man der eigenen Erinnerungen trauen und wie viel ist Selbstt?uschung?

Da der britische Schriftsteller auf alles ?berfl?ssige verzichtet, ist die Erz?hlung konzentriert geschrieben und hallt noch einige Zeit nach. Sie ist intelligent, ohne hochtrabend zu sein. Die schlaue Konstruktion sorgt auf 182 Seiten f?r Hochspannung.

Jennifer Mettenborg
12.03.2012

 
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Das Buch:

Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011
182 S., € 18,99
ISBN: 978-3-462-04433-1

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