Romane

Texte wie das Leben , unaufgeräumt

Nein, es ist kein gew?hnliches Buch. Das "Leben im Affenhaus" ist schon von seinen rund 450 Seiten her ein besonderes Kaliber. Geschrieben wurde es von Gudrun B?hr. Die Gattung wird mit Roman angezeigt, aber wenn es denn ein Roman ist, so ist es ein ganz spezieller.

Beim gew?hnlichen Leser weckt ein dickes Buch das Verlangen, erst einmal zu st?bern und darin zu bl?ttern, statt es ordentlich auf Seite 1 zu beginnen. Also, frisch ans Werk, das sich schwer anf?hlt, als habe sich die Autorin eine Last von der Seele geschrieben. Man liest die eigenwilligen S?tze, steigt weiter hinten erneut ein, stutzt ob der Selbst?ndigkeit des Stils, wird neugierig, geht deshalb an den Anfang zur?ck, wo man die Kapitel?berschrift wahrnimmt: "?berfliegen Sie nur - oder lesen Sie schon?" Erwischt! Das ist an sich schon eine Eigenheit dieses Buches: dass es so verdammt nahe an der greifbaren Realit?t liegt. Es ist kein brav aufger?umtes Werk, das Lektion um Lektion serviert. Es hackt und es springt, ohne die Sprungweite n?her zu erkl?ren. Man wird das Gef?hl nicht los, da habe ein Gast, der bei nachtsp?ter Stunde eintrifft und auf offene Ohren st??t, ein St?ck Lebensgeschichte zu erz?hlen begonnen.

Hat man sich einmal entschieden, dieses Buch zu lesen, so wird man gut daran tun, es nicht m?hsam zu studieren, sondern besser es einfach auf sich wirken zu lassen. Wie gesagt, es k?nnte ein Gast sein, der den virtuellen Dialog beginnt. Da m?sste man schon hinh?ren k?nnen. Es steckt aufm?pfiger Trotz in vielen dieser S?tze, die wie hingeworfen scheinen. Da ist schon das Abwerfen von Routinen und Reflexen ein befreiendes Erlebnis, das ein Leserinteresse verdient. "Keine vorgestanzten Texte", hei?t es in der Einleitung. Und: "Ich bin keine dressierte Frau." Da will man als undressierter Leser doch nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen wollen.

Die Hartn?ckigkeit lohnt sich. Man sp?rt den Menschen im Autor, was daran liegt, dass man den Drang, das echte Leben zu sp?ren, stark empfindet. "F?hl das Leben", ruft Gudrun B?hr, "hautnah!" Da schreibt jemand, der ein Labyrinth nicht beschreibt, indem man es auf die Gerade biegt. Wie im richtigen Leben wird auch in diesem Buch vieles assoziativ aneinandergereiht. Es ist eine Reise mit offenem Ende, die man vor sich hat. Und unwillk?rlich denkt man an eine innerlich weitgereiste Frau, die es gewohnt ist, Hindernisse nicht aus dem Weg zu r?umen. Darunter gibt es Beobachtungen ?ber den Mann und ?ber die Frau - ein Thema, das der Autorin zu liegen scheint, weil sie keine Schminke auftr?gt.

Da wird Sprache ausgesto?en, nicht ?berkultiviert. Hier d?rfe jeder, wie er m?chte, bemerkt die Autorin in einer ?berschrift. Das macht eine eigene Denke sichtbar, die die S?tze eben nicht plattdr?ckt, wo sie hochschie?en sollen, und sie nicht vervollst?ndigt, wo sie ?ber Schatten springen. Insofern l?sst die Autorin eben die Hindernisse stehen. Hindernisse sind dazu da, dass jemand ?ber sie stolpert. Eine Methode, zur "subtilen Wahrheit", wie die Autorin es nennt, vorzudringen? "Ich bewerbe mich auf diese ungew?hnliche Weise, weil das Leben manchmal Ungew?hnliches verlangt." In dieses Buch hat niemand einen Weichsp?ler gesch?ttet. Das Buch ist entsprechend hart und kantig. Ein unverwechselbares und deshalb ein gelungenes Buch, an dessen Authentizit?t niemand zweifeln wird.

Man hat eine starke Sprache vor sich und wird die Darlegung nicht durchschauen, indem man sie einem Studium unterzieht. Man wird Freude am Buch gewinnen, wenn man den Ausspr?chen in dem Tempo folgt, in dem sie gedacht sind. "Wir bewegen uns in einer extrem schnelllebigen Welt, in der jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird." An Tempo fehlt es in diesem interessanten Buch wahrhaftig nicht.

Interessant ist das Buch auch der Meta-Passagen wegen. "Wenn?s Ihnen nicht passt - machen Sie weiter wie bisher - mal sehen, ob Sie gl?cklich werden", spottet die Autorin ?ber die Menschen und damit auch ?ber sich selbst. "Ich ?ffne meine Gedanken, verbinde meine Erfahrungen und vervielfache mein Leben durch Publizierung und dem anh?ngigen Schneeballsystem" - wieder eine Meta-Passage, die aufmerken l?sst. Genauso schreibt Gudrun B?hr mit der Frage "Schreibe ich zu kompliziert" von dieser Meta-Warte aus. Schreiben als Therapiearbeit, der es im ?brigen nicht an Humor mangelt: "Die meisten tr?umen von Geld, Macht oder Sex. Wir tr?umen von frischem, knackigem Staudensellerie." Wer, ?brigens, ist dieses "Wir"? Ist es ein sozialp?dagogisches "Wir"? Oder verr?t es den Versuch, hinter dem pers?nlichen Erleben das Lebensprinzip an sich zu sehen? Ob dieser Frage darf man nicht ?bersehen, wie unerh?rt sensibel und aufmerksam sich die Autorin um Details bem?ht. "Ein interessant vorbeifliegendes Wort, das dich kaum streift und dich doch ber?hrt." Ob sich der Leser von dieser etwas versteckt wirkenden Lebensromantik fangen l?sst?

Ronald Roggen
02.01.2012

 
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Das Buch:

Gudrun Bähr: Leben im Affenhaus

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Frankfurt am Main: Frankfurter Literaturverlag 2011
446 S., € 27,80
ISBN: 978-3-8372-1027-9

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